Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 363
Nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG gilt es als (fiktive) Entnahme zum gemeinen Wert, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich der Veräußerung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Wird das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Nutzungen des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt, gilt dies als Nutzungsentnahme, bewertet ebenfalls zum gemeinen Wert.
Rz. 363a
In systematischer Hinsicht ist die Vorschrift eine Gewinnrealisierungsvorschrift; durch sie wird ein Gewinn realisiert, ohne dass ein Tatbestand vorliegt, der nach dem Realisationsprinzip zu einer Gewinnverwirklichung führen würde. Es handelt sich nicht um eine bloße Gewinnabgrenzungsvorschrift; dies würde voraussetzen, dass der Gewinn auch ohne § 4 Abs. 1 S. 3 EStG realisiert wäre, was nicht der Fall ist.
Rz. 364
Die Gesetzesbegründung sieht diese Regelung als Klarstellung zur ohnehin bestehenden Rechtslage an. Das ist m. E. unrichtig, da ein gesetzlicher Gewinnrealisierungstatbestand bisher nicht existierte. Ein solcher konnte auch nicht mittelbar § 6 Abs. 1 S. 1 EStG entnommen werden, wonach die Überführung eines Wirtschaftsguts von einem Betriebsvermögen des Stpfl. in ein anderes Betriebsvermögen desselben Stpfl. (nur) dann zum Buchwert erfolgen konnte, wenn die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Diese Regelung war auf die Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Betriebsstätte in eine ausl. Betriebsstätte desselben Stpfl. nicht anwendbar, weil es sich um ein einheitliches "Betriebsvermögen" handelt; das Gesetz hätte, sollten diese Fälle erfasst werden, formulieren müssen, dass die Überführung in eine "Betriebsstätte" (statt: "Betriebsvermögen") erfasst wird (Rz. 354). Eine Ausdehnung, und nicht nur eine Klarstellung, ist auf jeden Fall die Erfassung der "Nutzung" eines Wirtschaftsguts (Rz. 388).
Rz. 364a
In § 4 Abs. 1 S. 3 und 4 EStG wurde in erstinstanzlicher Entscheidung ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV gesehen und die Entscheidung über die Vereinbarkeit mit dem EU Recht dem EuGH vorgelegt. Dieser hat daraufhin zugunsten der Regelung entschieden und die fiktive Entnahme bei Steuerentstrickung mit Bildung und linearer Auflösung eines Ausgleichspostens für EU-rechtskonform erklärt.