3.10.3.2.1 Allgemein
Rz. 80a
Die Finanzverwaltung hat sich mit dem vom 19.5.2022 überarbeiteten Anwendungsschreiben zur Abgeltungsteuer in Rz. 131 ausführlich zu der in der Praxis bedeutsamen Besteuerung von Fremdwährungskonten geäußert. Im Kern wurden in der geänderten Rz. 131 Währungsgewinne und -verluste aus Fremdwährungsguthaben bzw. aus (verzinslichen) Fremdwährungskonten erstmals in die Besteuerung nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 und Abs. 4 S. 1 EStG einbezogen. Diese von der Finanzverwaltung als "Klarstellung" betitelte Änderung stellt jedoch eine Neuregelung dar, da sich weder das zugrunde liegende Gesetz (§§ 20, 23 EStG), noch die zugrunde liegende Rspr. des BFH geändert hat. Über §§ 43, 44 Abs. 1 S. 3 EStG ist diese Neuregelung jedoch – trotz der entgegenstehenden Regelungen in §§ 20, 23 EStG und der anders lautenden Rspr. (Rz. 80c) – durch die auszahlenden Stellen verpflichtend anzuwenden (Rz. 4n).
3.10.3.2.2 Auffassung der Finanzverwaltung
Rz. 80b
Im Einzelnen ist nach Ansicht der Finanzverwaltung jede Einzahlung oder Zinsgutschrift auf ein verzinsliches Tages-, Festgeld- oder sonstiges Fremdwährungskonto ein Anschaffungsvorgang. Im Falle der späteren Rückzahlung liegt nach Ansicht der Finanzverwaltung ein veräußerungsgleicher Vorgang i. S. v. § 20 Abs. 2 S. 2 EStG vor. Dabei komme es nicht darauf an, ob eine etwaige Fremdwährungskapitalforderung zugleich in Euro oder eine dritte Währung umgewandelt wird. Das Gleiche gelte, wenn die Fremdwährungskapitalforderung nach Fälligkeit erneut verzinslich angelegt wird oder auf ein anderes verzinsliches Konto bei demselben oder einem anderen Kreditinstitut umgebucht wird. Diese Vorgänge stellten steuerlich eine Veräußerung der ursprünglichen Kapitalforderung und zugleich eine Anschaffung einer neuen Kapitalforderung dar.
Eine praxisrelevante Ausnahme wird gemacht für Fremdwährungsguthaben auf Zahlungsverkehrskonten (z. B. Giro-, Basiskonten, Girocard), Kreditkarten und digitalen Zahlungsmitteln, bei denen laut Finanzverwaltung unterstellt werden kann, dass diese ausschließlich als Zahlungsmittel eingesetzt werden und eine Einkunftserzielungsabsicht im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht vorhanden ist.
3.10.3.2.3 Kritik an der Auffassung der Finanzverwaltung
Rz. 80c
Die Neuregelung in Rz. 131des obigen BMF-Schreibens ist aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage und der langjährigen Rspr. m. E. "contra legem" und zu kritisieren. Zunächst ist die Gesetzeslage seit 2009 unverändert: Nach der st. Rspr. des BFH gehören Fremdwährungsbeträge (auch in Form von Kontoguthaben oder Festgeldanlagen) zu den "anderen Wirtschaftsgütern" i. S. v. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG. Die Veräußerung von fremden Währungen fällt auch nach Einführung der Abgeltungsteuer weiter unter § 23 EStG und nicht unter § 20 EStG. Nach der Rspr. des BFH werden Fremdwährungsbeträge angeschafft i. S. v. § 23 EStG, wenn sie im Tausch gegen eine andere Währung erworben werden. Sie werden erst veräußert i. S. dieser Vorschrift, wenn sie in inländische Währung zurückgetauscht oder in eine andere Fremdwährung umgetauscht werden. Im "bloßen Transfer eines Fremdwährungsguthabens von einem Konto auf ein anderes Konto" oder in der Festgeldanlage und deren Rückfluss ist dagegen nach Ansicht des BFH ausdrücklich weder eine Anschaffung noch eine Veräußerung von Fremdwährung zu sehen. Die Verlagerung des Fremdwährungsguthabens führt daher als solche zu keinem Vermögenszuwachs des Strpfl. und zu keiner Steigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die Wertsteigerung im Privatvermögen in Form eines erzielten Kursgewinns wird gem. § 23 EStG erst dann durch einen "marktoffenbaren Veräußerungsvorgang" realisiert und damit steuerbar, wenn die ausl. Währung in Euro (oder eine andere Währung) zurückgetauscht wird. Erst in dem durch den günstigen Rücktausch erhöhten Euro-Betrag (oder Betrag in einer anderen Währung) liegt der Zufluss des "Veräußerungspreises" i. S. von § 23 i. V. m. § 11 Abs. 1 EStG. Der BFH führt als Begründung aus, dass obwohl § 23 EStG Abs. 3 S. 1 EStG von "Gewinn oder Verlust" aus Spekulationsgeschäften spricht, es sich um Überschusseinkünfte handelt, für deren Ermittlung die zugeflossenen Einnahmen den abgeflossenen Werbungskosten gegenüberzustellen sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 2, §§ 8, 9, 11 EStG). Der sich durch Währungsschwankungen ergebende Kursgewinn wird mithin nicht schon durch den Transfer eines Fremdwährungsguthabens von einem Konto auf ein anderes realisiert. Der BFH hat die Urteile v. 2.5. 2000 in der Entscheidung vom 30.11.2010 ausdrücklich bestätigt.
Solche eine grundsätzliche Änderung in der Rz. 131 des obigen BMF-Schreibens v. 19.5.2022 hätte daher nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer Änderung ...