Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
2.1 Grundlagen der Bilanzierung nach Handelsrecht
Rz. 10
Nach § 5 EStG sind bei der Gewinnermittlung nach dieser Vorschrift die handelsrechtlichen Grundsätze der ordnungsmäßigen Buchführung (und Bilanzierung) zu beachten.
Die handelsrechtlichen Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften sind in den §§ 238ff. HGB enthalten. Dabei gelten die §§ 238-263 HGB für alle Kaufleute. Daneben enthalten die §§ 264–283 HGB Sondervorschriften für Kapitalgesellschaften und bestimmte Personenhandelsgesellschaften; die Geltung eines großen Teils dieser Vorschriften ist auf Einzelgewerbetreibende und Personengesellschaften ausgedehnt, die dem Publizitätsgesetz unterliegen. Für kleine Kapitalgesellschaften und Kleinstkapitalgesellschaften (§ 267a HGB) gibt es hierbei Erleichterungen. Für Genossenschaften gelten die §§ 336ff. HGB, für Kreditinstitute die Sondervorschriften der §§ 340ff. HGB und für Versicherungsunternehmen die §§ 341ff. HGB.
Der Jahresabschluss besteht im Allgemeinen aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Bei Kapitalgesellschaften gehört außerdem der Anhang zum Jahresabschluss. Zusätzlich haben mittelgroße und große Kapitalgesellschaften einen Lagebericht aufzustellen, der nicht Teil des Jahresabschlusses ist.
Der Anhang als Teil des Jahresabschlusses hat die Ansätze in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu erläutern. Im Lagebericht sind der Geschäftsverlauf und die Lage der Kapitalgesellschaft, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend, darzustellen. Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang) und Lagebericht enthalten Angaben, die für die Besteuerung von Bedeutung sind; Abschluss und Bericht sind daher auch in steuerlichem Interesse zu erstellen. Dagegen haben der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht keine steuerliche Bedeutung. Der Besteuerung wird das Ergebnis jeder einzelnen Gesellschaft zugrunde gelegt, nicht ein Gesamtergebnis des Konzerns. Ergebnisse der Tochtergesellschaften werden auf die Muttergesellschaft mit steuerlicher Wirkung nur durch Ausschüttung oder organschaftliche Ergebnisabführung übertragen, nicht durch Konsolidierung im Konzernabschluss.
2.2 Bilanzzwecke und Bilanztheorien
Rz. 11
Einzelheiten des Inhalts der Bilanz, und damit die Höhe des handelsrechtlich und letztlich auch steuerrechtlich auszuweisenden Gewinns, hängen ab von dem Zweck, den die Bilanz verfolgt. Die Untersuchung dieser Zwecke bildet einen wesentlichen Teil der betriebswirtschaftlichen Bilanzlehre. Als Bilanzzwecke werden genannt:
- Dokumentation der Geschäftsvorfälle, des vorhandenen Vermögens und der bestehenden Verbindlichkeiten;
- Rechenschaftslegung über die Vermögensverhältnisse des Kaufmanns und den Erfolg der abgelaufenen Geschäftsperiode gegenüber dem Kaufmann selbst, Kreditgebern, Arbeitnehmern und der Öffentlichkeit, bei Kapitalgesellschaften auch gegenüber den Anteilseignern;
- Schuldendeckungskontrolle; es soll dokumentiert werden, ob das vorhandene Aktivvermögen die Schulden deckt;
- Grundlage der Gewinnverteilung;
- Ausschüttungssperre bei Kapitalgesellschaften.
Die Bilanz und ihr Inhalt lassen sich letztlich auf keinen dieser Zwecke zwingend zurückführen, obwohl Elemente dieser Zwecke in einzelnen Vorschriften enthalten sind. Ein für die Besteuerung bedeutsamer Zweck, der vor allem durch die Rspr. zur Auslegung herangezogen wird, ist die vorsichtige Ermittlung eines verteilungsfähigen und ausschüttbaren, und damit nach dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auch besteuerbaren Gewinns. Ein in der internationalen Rechnungslegung immer bedeutsamer werdender Zweck ist andererseits die zukunftsgerichtete Information des Anteilseigners für seine Investitionsentscheidung.
Die verschiedenen Zwecke können kollidieren und daher eine widersprüchliche Rechnungslegung erzwingen. Während etwa die Ermittlung eines ausschüttbaren Gewinns vom Vorsichtsprinzip beherrscht wird, kann dies dem Informationszweck zuwiderlaufen. Der Informationszweck erfordert u. U. eine Rechnungslegung nicht nach Anschaffungs- oder Herstellungskosten, sondern nach Marktwerten.
Letztlich können daher eindeutige und bindende Bilanzierungsregeln aus bilanztheoretischen Erwägungen über Bilanzzwecke nicht abgeleitet werden. Sie können Grundlagen für rechtspolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sein, nicht aber selbst bindende Regelungen. Handelsrechtlich, und damit auch steuerlich, ist Grundlage der Bilanzierung die Summe der im HGB enthaltenen Bilanzierungsgrundsätze und die sich daraus ableitenden Regeln.
Rz. 12
Von den Bilanztheorien haben in der Vergangenheit im Wesentlichen die statische und die dynamische Bilanzauf...