Dr. Dino Höppner, Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 148
Die einkommensteuerlichen Vorschriften enthalten eine Reihe von Bestimmungen, nach denen der Gewinnausweis, und damit die Versteuerung, trotz Realisation des Gewinns durch ein (entgeltliches) Umsatzgeschäft aufgeschoben wird. Der Grund für solche Ausnahmen liegt häufig in wirtschaftspolitischen Überlegungen. Das Vermögen soll weiterhin, ohne steuerliche Belastung, dem Unternehmen dienen können.
Rz. 149
Der Tausch von Wirtschaftsgütern führt grundsätzlich zur Gewinnrealisierung bei beiden Partnern des Tauschs; während der hingegebene Gegenstand zum Buchwert aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, ist der erworbene Gegenstand mit den Anschaffungskosten einzubuchen. Die Anschaffungskosten bestehen in dem gemeinen Wert (nicht: dem Buchwert) des hingegebenen Wirtschaftsguts (§ 6 Abs. 6 EStG), in Höhe der Differenz zwischen Buchwert und gemeinem Wert tritt also Gewinnrealisierung ein (Rz. 100). Dadurch ist das Tauschgutachten des BFH v. 16.12.1958, I D 1/57 S, BStBl III 1959, 30 ersetzt worden, wonach bei Kapitalanteilen eine Gewinnrealisierung bei Wert-, Art- und Funktionsgleichheit vermieden werden konnte..
Rz. 150
Dagegen hat die Reinvestitionsrücklage (§ 6b) die Funktion, eine durch die Besteuerung nicht beeinträchtigte Neuorganisation der betrieblichen Investitionsmittel zu ermöglichen (ausführlich dazu § 6b EStG Rz. 2f.).
Rz. 151
Aus dem gleichen Gedanken heraus regelt R 6.6 Abs. 4 EStR 20212 mit der Rücklage für Ersatzbeschaffung einen Sonderfall. Wenn ein Wirtschaftsgut gegen den Willen des Stpfl. (z. B. durch höhere Gewalt, staatlichen Eingriff) aus dem Betriebsvermögen gegen Entschädigung ausscheidet, soll diese Entschädigung nicht besteuert werden, damit sie in vollem Umfang für die Anschaffung eines funktionsgleichen Wirtschaftsguts zur Verfügung steht. Die durch die Entschädigung aufgedeckten stillen Reserven erhöhen die Leistungsfähigkeit des Stpfl. nicht, wenn und soweit die Entschädigung zur Anschaffung eines funktionsgleichen Ersatzwirtschaftsguts verwandt wird (Rz. 268ff.).
Rz. 152
Schließlich ermöglichen die verschiedenen Tatbestände des UmwStG in gewissem Rahmen eine Neuorganisation ganzer Unternehmen oder abgrenzbarer Teile (Teilbetriebe) durch Umwandlung oder Verschmelzung ohne Gewinnrealisierung.
Rz. 153
Auf einem ähnlichen Grundgedanken beruht § 6 Abs. 3 EStG. Diese Vorschrift ermöglicht die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs oder eines Mitunternehmeranteils ohne Gewinnrealisierung. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine Aufdeckung der stillen Reserven nicht erforderlich ist, wenn der betriebliche Zusammenhang trotz der Übertragung erhalten bleibt und damit eine spätere Versteuerung der stillen Reserven, wenn auch bei einer anderen Person, dem Erwerber, sichergestellt ist. Konsequent ordnet daher § 6 Abs. 4 EStG bei der unentgeltlichen Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter die Gewinnrealisierung an, weil hier der betriebliche Zusammenhang nicht gewahrt ist, das einzelne Wirtschaftsgut stattdessen aus einem Betriebsvermögen ausscheidet und in ein anderes überführt wird.