Dr. Dino Höppner, Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 413
Ist die Verpflichtung, die der Rückstellung zugrunde liegt, zum Bilanzstichtag zwar entstanden, aber erst in der Zukunft zu erfüllen, stellt sich die Frage, ob ein ratierlicher Aufbau der Rückstellung zu erfolgen hat. Bei der ratierlichen Ansammlung wird der gesamte Rückstellungsbedarf gleichmäßig auf die Zeit bis zur Begleichung der Verbindlichkeit verteilt. Der Grund dieses Verfahrens wird darin gesehen, dass der Rückstellungsbetrag über die ganze Laufzeit der jeweiligen Tätigkeit "verdient" werden soll.
Rz. 413a
Dabei bedeutet der Begriff "gleichmäßig", dass der jeweilige Zuführungsbetrag ohne Berücksichtigung der Abzinsung gleich sein muss. Wird die Abzinsung einbezogen, kann der Betrag nicht gleich sein, weil die Abzinsung von der künftigen Laufzeit abhängt und damit in jedem Jahr unterschiedlich ist. Es ist also der jährlich gleiche Betrag der Rückstellung zuzuführen und danach die Rückstellung nach der Restlaufzeit abzuzinsen.
Rz. 414
Bei der Frage, ob diese Art der Ansammlung der Rückstellung erforderlich ist oder ob nicht im ersten Jahr der ganze Rückstellungsbedarf (von späteren Preissteigerungen usw. abgesehen) in einer Summe zurückzustellen ist, sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
- In der ersten Fallgruppe entsteht die Verbindlichkeit wirtschaftlich erst im Lauf der Zeit, d. h., in jedem Jahr ist der Rückstellungsbedarf höher als im vorigen. Dann ist die Rückstellung zu jedem Bilanzstichtag um den in dem abgelaufenen Wirtschaftsjahr verursachten Rückstellungsbedarf aufzustocken ("unechte Ansammlungsrückstellungen"). Ein Beispiel ist etwa die Rekultivierungsrückstellung (Rz. 458 "Rekultivierungsverpflichtungen"). Der Rückstellungsbedarf ist zu jedem Bilanzstichtag entsprechend dem in dem abgelaufenen Jahr abgebauten Boden höher. Die ratierliche Ansammlung entspricht also dem ratierlichen Entstehen der Verbindlichkeit; es hat daher eine ratierliche Ansammlung entsprechend dem ratierlichen Entstehen der Verbindlichkeit zu erfolgen. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d) EStG gilt für diese Rückstellungen nicht, da sich der Aufbau der Rückstellung über die Zeit bereits aus der Natur der Sache und der wirtschaftlichen Verursachung ergibt. Der BFH zählt zu dieser Gruppe auch die Fälle der Jubiläumsrückstellung (Rz. 458), da die Zuwendung von den Jahren des Bestehens des Betriebs und der Betriebszugehörigkeit abhänge, also die Verpflichtung erst im Lauf der Zeit entstehe.
- In die zweite Fallgruppe gehören Fälle, in denen der Rückstellungsbedarf sofort in voller Höhe entsteht, die Verbindlichkeit aber erst in der Zukunft zu erfüllen ist und die daher aus wirtschaftlichen Gründen über den Zeitraum bis zur Erfüllung der Verpflichtung anzusammeln sind ("echte Ansammlungsrückstellungen"). Da diese Verbindlichkeiten wirtschaftlich bereits entstanden sind, wären sie an sich sofort in voller Höhe durch eine Rückstellung zu berücksichtigen. Für diese Rückstellungen schreibt § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d) EStG den ratirlichen Aufbau vor. Zu diesen Fällen gehören die Abrissverpflichtungen (Rz. 458), ebenso Rückbauverpflichtungen, und die gesetzliche Verpflichtung zur Rücknahme und Verwertung von Erzeugnissen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d S. 2 EStG.
Rz. 415
Problematisch sind nur die Fälle der zweiten Art. Bei den Fällen der ersten Fallgruppe entsteht die Verpflichtung ratierlich, entsprechend hat auch der ratierliche Aufbau der Rückstellung zu erfolgen. Bei den Fällen der zweiten Fallgruppe entsteht die Verpflichtung wirtschaftlich dagegen sofort; hier liegt ein ratierlicher Aufbau der Rückstellung nicht auf der Hand.
Entstehung der Verpflichtung
Ist ein Gebäude errichtet, für das eine Abrissverpflichtung besteht, sind die Abrisskosten wirtschaftlich sofort in voller Höhe verursacht, nämlich durch die Errichtung des später abzureißenden Gebäudes. Die Nutzung des Gebäudes ändert an der Abrissverpflichtung und ihren Kosten nichts mehr, verursacht also die Kosten auch nicht. Die Abrissverpflichtung bestünde auch in gleicher Höhe, wenn die Nutzung des Gebäudes oder der fragliche Betrieb eingestellt würden; die künftige Nutzung ist also nicht ursächlich.
Als Maßstab dafür, in welchem Zeitpunkt die Verpflichtung wirtschaftlich entstanden ist, kann die Frage benutzt werden, ob die Verpflichtung in voller Höhe bestünde, wenn die entsprechende Tätigkeit bzw. Nutzung zum jeweiligen Bilanzstichtag aufgegeben wird. Besteht dann die (in Zukunft zu erfüllende) Verpflichtung in voller Höhe, ist der Rückstellungsbedarf durch die künftige Tätigkeit nicht verursacht. Im Beispiel würde etwa die Abbruchverpflichtung auch dann in voller Höhe bestehen, wenn der Betrieb eingestellt würde. Trotz dieser Grundsätze sind in der Praxis diese Rückstellungen regelmäßig ratierlich aufgebaut worden.
Rz. 416
Die damit verbundene rechtliche Unsicherheit, ob ein ratierlicher Aufbau bei den Rückstellungen der zweiten Fallgruppe zu erfolgen habe, hat den Gesetzgeber veranlasst, diese Frage durch Gesetz v. 24.3.1999 zu regeln....