Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 209
Der praktisch wohl häufigste Fall der Anwendung des Abs. 9 S. 1 Nr. 1 (und wohl auch der Fall, der den Gesetzgeber zur Schaffung der Vorschrift veranlasst hat) ist der Fall der Beteiligung eines unbeschränkt Stpfl. an einer ausl. Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft), wenn Sondervergütungen (insbes. Darlehenszinsen) von der Personengesellschaft gezahlt werden. Für diese Fallgruppe besteht ein Dissens zwischen Finanzverwaltung und Rspr. Nach Ansicht des BFH sind Zinsen und Lizenzgebühren nach Art. 7 Abs. 7 OECD-MA grundsätzlich als selbstständige Einkunftsströme zu qualifizieren, bei denen sich das Besteuerungsrecht nach Art. 11, 12 OECD-MA richtet. Diese Vergütungen sind dann in einem zweiten Schritt den Betriebsstätteneinkünften der Personengesellschaft zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen der Rückverweisung auf Art. 7 OECD-MA vorliegen. Diese Voraussetzungen bestehen nach Art. 11 Abs. 4 bzw. Art. 12 Abs. 3 OECD-MA darin, dass eine Zuordnung der Vergütungen zu einer Betriebsstätte erfolgt, mit der Folge, dass das Betriebsstättenprinzip gilt, wenn die Rechte, für die die Zinsen bzw. Lizenzgebühren gezahlt werden, tatsächlich zu der Betriebsstätte gehören. Nach der Rspr. kommt es darauf an, ob die "Rechte" der Betriebsstätte zuzuordnen sind, nicht dagegen Verbindlichkeiten. Die Rückverweisung greift danach nur ein, wenn die Personengesellschaft die Gläubigerposition einnimmt. Da Sondervergütungen für Verbindlichkeiten gezahlt werden, die Personengesellschaft also Schuldner und nicht Gläubiger ist, sind die Voraussetzungen der Rückverweisung nicht erfüllt, sodass das Betriebsstättenprinzip nicht anwendbar ist. Das Besteuerungsrecht steht also nach § 11 Abs. 1, § 12 Abs. 1 OECD-MA dem Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters zu.
Rz. 210
Nach deutscher Auffassung (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG) handelt es sich bei den Sondervergütungen um Gewinnanteile aus der Personengesellschaft. Diese wären nach dem Betriebsstättenprinzip im Betriebsstättenstaat der Personengesellschaft zu besteuern (Art. 7 OECD-MA; Abschn. 1.2.3 Verwaltungsgrundsätze Betriebsstätten). Bestätigt worden ist diese Auffassung durch § 50d Abs. 10 S. 1 EStG, wonach die Sondervergütungen zu den Unternehmensgewinnen gehören und derjenigen Betriebsstätte zuzuordnen sind, bei deren Gewinnermittlung sie als Betriebsausgaben abgezogen worden sind. Diese Regelung gilt sowohl für eine ausl. Personengesellschaft mit inländischen Gesellschaftern als auch für eine inländische Personengesellschaft mit ausl. Gesellschaftern.
Rz. 211
Da die meisten ausl. Staaten (Ausnahme: Österreich) ein Konzept der Sondervergütungen nicht kennen, ordnen sie die Sondervergütungen als Zinsen, Art. 11 OECD-MA, oder als Lizenzgebühren, Art. 12 OECD-MA, ein, wonach der ausl. Staat als Quellenstaat nur ein beschr. Quellensteuerrecht hat oder diese Einkünfte vollständig freistellt, während das unbeschränkte Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat, der Bundesrepublik, zusteht. Da die Bundesrepublik nach Ansicht der Finanzverwaltung das Betriebsstättenprinzip anwendet, sieht sie sich an einer Besteuerung durch das DBA gehindert. Es besteht also ein Qualifikationskonflikt aufgrund unterschiedlicher Auslegung und Anwendung des DBA, weil die Bundesrepublik die Sondervergütungen unter Art. 7 OECD-MA, der Quellenstaat dagegen unter Art. 11, 12 OECD-MA subsumiert. Dieser Qualifikationskonflikt führt dazu, dass der Quellenstaat nur beschränkt oder gar nicht, die Bundesrepublik als Ansässigkeitsstaat wegen der Freistellung nach dem Betriebsstättenprinzip ebenfalls überhaupt nicht besteuert. Der BFH wollte diesen Qualifikationskonflikt dadurch lösen, dass auch die Bundesrepublik den Zinsartikel (Art. 11 OECD-MA) anwendet; die Finanzverwaltung hatte eine ungeschriebene Switch-over-Klausel angenommen. Hierzu näher Erläuterungen zu § 49 EStG Rz. 73ff. Da das Konzept einer "ungeschriebenen Switch-over-Klausel" rechtlich kaum haltbar ist, hat der Gesetzgeber hierfür durch Abs. 9 Nr. 1 eine nationale Switch-over-Klausel und damit eine gesetzliche Grundlage geschaffen.
Rz. 211a
Gesetzestechnisch ist in erster Linie § 50d Abs. 10 EStG anzuwenden. Danach sind die Sondervergütungen als Unternehmensgewinne entsprechend Art. 7 OECD-MA zu qualifizieren und der Betriebsstätte, die sie als Aufwendungen getragen hat, zuzuordnen. Auf dieser Stufe hätte die Bundesrepublik als Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters kein Besteuerungsrecht, sondern müsste die Freistellungsmethode anwenden, sodass eine doppelte Nicht-Besteuerung eintreten würde. Hierzu bestimmt aber § 50d Abs. 10 S. 8 EStG, dass Abs. 9 unberührt bleibt. Es ist jetzt also auf der "zweiten Stufe" Abs. 9 anzuwenden, sodass die Freistellungsmethode durch die Anrechnungsmethode ersetzt wird. Eine etwaige ausl. Abzugsteuer ist auf die deutsche Steuer anzurechnen. Diese Regelung gilt auch dann, wenn die Einkünfte der Personengesellschaft im Übrigen im Quellenstaat besteuert werden. Die Sondervergütungen sind nach dem DBA als selbstständige Einkunfts...