Rz. 16

§ 70 Abs. 3 EStG betrifft die Aufhebung oder Änderung eines von Anfang an materiell rechtswidrigen Bescheids, dessen Unrichtigkeit nachträglich festgestellt wurde. Es muss zu Unrecht Kindergeld festgesetzt worden sein. Auf einen Bescheid, durch den eine Kindergeldfestsetzung zu Unrecht aufgehoben oder abgelehnt wurde, ist § 70 Abs. 3 EStG nicht anzuwenden.[1] Ein materieller Fehler liegt auch vor, wenn die Familienkasse einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat.[2] Nach den Korrekturvorschriften der AO käme in diesen Fällen eine Aufhebung oder Änderung nur nach § 129 AO (offenbare Unrichtigkeit), § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2c AO (Erwirken des Bescheids durch unlautere Mittel) oder § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (nachträglich bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel) in Betracht. Als sonstige anwendbare eigenständige Korrekturvorschrift außerhalb der AO i. S. v. § 172 Abs. 1 Nr. 2d AO ermöglicht § 70 Abs. 3 EStG darüber hinaus die Berichtigung materieller Rechtsfehler des von Anfang an rechtswidrigen Bescheids mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc).[3] Auch diese Änderungsvorschrift berücksichtigt, dass die Korrekturvorschriften der AO nicht auf Dauerverwaltungsakte wie die Kindergeldfestsetzung zugeschnitten sind. Sie soll vermeiden, dass die Familienkassen ggf. über einen Zeitraum von vielen Jahren an eine als fehlerhaft erkannte Kindergeldfestsetzung gebunden bleiben.[4]

 

Rz. 17

§ 70 Abs. 3 EStG ("können … beseitigt werden") räumt nach der Wortfassung der Familienkasse ein Ermessen hinsichtlich der Neufestsetzung oder Änderung der Kindergeldfestsetzung ein. Nach V 21.1 Abs. 1 DA-KG 2020 handelt es sich jedoch um eine zwingend vorzunehmende (gebundene) Entscheidung.[5] Dem ist im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit zuzustimmen.[6] Entgegen dem Wortlaut betrifft § 70 Abs. 3 EStG nur Änderungen zuungunsten des Berechtigten, d. h. positive Kindergeldfestsetzungen.[7] Der unrechtmäßige Kindergeldbezug wird mit Wirkung ab dem Folgemonat der Bekanntgabe korrigiert. § 70 Abs. 3 EStG ermöglicht damit nicht die Änderung von Ablehnungsbescheiden oder Nullfestsetzungen. Hier ist kein Änderungsantrag, sondern ein neuer Kindergeldantrag zu stellen.[8]

 

Rz. 18

§ 70 Abs. 3 EStG ermöglicht eine Korrektur nur mit Wirkung für die Zukunft, und zwar ab dem auf die Bekanntgabe der Neufestsetzung oder der Aufhebung der Festsetzung folgenden Monat.[9] Das Eingreifen von § 176 AO (Vertrauensschutz bei Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden) folgt an sich bereits aus der Bezeichnung des Kindergelds durch den Gesetzgeber als Steuervergütung (§ 31 S. 3 EStG) und daraus folgend aus der Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften der AO für Steuerbescheide. § 70 Abs. 3 S. 2 EStG ist insoweit nur deklaratorisch.

 

Rz. 19

Nach § 70 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 EStG gilt die Anwendung der Grundsätze des § 176 AO nicht für die Monate, die nach der Verkündung der maßgeblichen Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Bundes beginnen. Der Vertrauensschutz nach § 176 AO ist daher bei den ohnehin nur mit Wirkung für die Zukunft vorgenommenen Neufestsetzungen oder Aufhebungen eingeschränkt.

Rz. 20 und 21 einstweilen frei

[4] BT-Drs. 13/3084, 73.
[6] Ermessensreduzierung, Bergkemper, FR 2000, 136; Pust, in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 70 EStG Rz. 216; Selder, in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 70 EStG Rz. 38; Wendl, in H/H/R, EStG/KStG, § 70 EStG Rz. 16; im Ergebnis auch Felix, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 70 EStG Rz. D 6.
[8] Selder, in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 70 EStG Rz. 40.

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