Der Abschluss von Werk- und Dienstleistungsverträgen gehört einerseits zum Alltagsgeschäft von Fachabteilung oder Einkauf und wirft keine besonderen Compliance-Fragestellungen auf. Andererseits haben sich unter dieser Kategorie Formen des Fremdressourceneinsatzes im Grenzbereich des gesunden Menschenverstandes entwickelt. In der tatsächlichen Abwicklung bestehen dann starke Ähnlichkeiten mit dem Einsatz eigener Arbeitnehmer oder von Leiharbeitnehmern. Unterschiede zum Fremdunternehmer, der seine eigenen Mitarbeiter zur Auftragserfüllung mitbringt, sind dann kaum noch zu erkennen. Werden die Arbeitnehmer eines beauftragten Unternehmens oder selbständige Berater als Arbeitnehmer des eigenen Unternehmens eingestuft, drohen Bußgelder wegen der Verletzung von Arbeitnehmerschutz- oder sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften, Schwierigkeiten mit der Arbeitnehmervertretung und ein erhebliches Reputationsrisiko. Die vom Auftragnehmer eingesetzten Personen müssen dann wie eigene Mitarbeiter bezahlt werden.
In der Regel hat der Einkauf indessen keine näheren Kenntnisse darüber, wo die Grenzen zum Arbeitsverhältnis liegen. Die Personalabteilung wird qua Definition nicht eingeschaltet – es handelt sich ja um Werkverträge, nicht um Anstellungsverhältnisse. Die Verträge sind in aller Regel rechtlich in Ordnung, so dass auch die hausinternen Juristen oder Rechtsberater kein Haar in der Suppe finden. Allerdings entscheidet in arbeits- und sozialrechtlichen Grenzfällen nicht die juristische Papierform, sondern die tatsächliche Praxis. Diese kennen nur die Führungskräfte vor Ort.
Somit besteht das Risiko, dass die "Dinge zwischen die Stühle fallen". Um das zu verhindern, sollte man auf Folgendes achten:
- Die Verfahren zur Anforderung von Aufträgen durch Fachabteilungen, der Auswahl von Beauftragten und der Auftragsvergabe sollten miteinander verknüpft sein.
- Die Fachabteilungen müssen bei einem Auftrag beurteilen, ob Umstände vorliegen, die das eingesetzte Fremdpersonal in die Nähe zum Einsatz eigener Mitarbeiter bringen. Sie müssen solche Umstände für die Dauer der Auftragsabwicklung ausschließen können.
- Eine zweite "Verteidigungslinie" liegt beim Einkauf. Liegen gefahrerhöhende Umstände vor, muss der Einkauf bei Auftragsvergabe verstärkt auf Anforderungen, wie z. B. Lastenheft und Haftung für Nichterfolg achten.
- Können gefahrerhöhende Umstände nicht ausgeschlossen werden, sollte vor Auftragsvergabe eine weitergehende Prüfung und funktionsübergreifende Abstimmung durch Compliance erfolgen.
- Umfangreiche Vertragsklauseln, Erklärungen oder Zusicherungen der Beteiligten, dass keine gefahrerhöhenden Umstände vorlägen, sollten von Einkauf und Rechtsabteilung nicht als Absicherung sondern als risikoerhöhender Faktor berücksichtigt werden.
Checkliste "Gefahrerhöhende Umstände" Primärverantwortung Fachabteilung (FA), Einkauf (E), Recht (R) |
Kann der Geschäftspartner die vereinbarte Leistung mit eigenen Ressourcen und in eigener Verantwortung erbringen? |
FA |
E |
Ist für den Auftrag vom eigenen Unternehmen ein Lastenheft erstellt worden, das der Geschäftspartner selbstständig, ohne laufende Weisungen des Unternehmens abarbeiten kann? |
FA |
E |
Wird eine Summe von Klein- und Kleinst-"Projekten" vergeben bis zur "Atomisierung" (z. B. Schweißnähte, Verputzarbeiten geringen Umfangs)? |
FA |
E |
Geht es um die Leistung (nicht erfolgsbezogener) einfacher Arbeiten (z. B. Schreibarbeiten, Botendienste, einfache Zeichenarbeiten, Maschinenbedienung, Dateneingaben)? |
FA |
E |
Wird Fremdpersonal auf dem Betriebsgelände eingesetzt? |
FA |
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Ist bei Fremdpersonaleinsatz auf dem Betriebsgelände die räumliche Abgrenzung von den eigenen Mitarbeitern gewahrt? |
FA |
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Wie ist ausgeschlossen, dass das Fremdpersonal Anweisungen durch eigene Mitarbeiter erhält? |
FA |
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Wie ist sichergestellt, dass das Fremdpersonal die eigene Arbeitszeit selbst bestimmen kann? |
FA |
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Setzt das Fremdpersonal eigene Betriebsmittel und Werkzeuge ein? |
FA |
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Ist die Personalgestellung nur (vorübergehende) Folgeleistung der Lieferung einer Maschine oder Software? |
FA |
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Hat das beauftragte Unternehmen die Genehmigung für gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung? |
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E |
War das zu beauftragende Unternehmen bereits öffentlicher Kritik wegen Verletzung arbeits- oder sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften oder Sozialstandards ausgesetzt oder von behördlichen Ermittlungsverfahren betroffen? |
FA |
E |
Enthalten die Verträge umfangreiche Zusicherungen, dass keine gefahrerhöhenden Umstände vorliegen? |
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E, R |
Tab. 1: Checkliste "Gefahrerhöhende Umstände"