Leitsatz

Das Ermessen bei Erlass von Säumniszuschlägen auf nicht geleistete ESt-Vorauszahlungen ist nicht wegen Verfassungswidrigkeit des § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG auf null reduziert.

 

Normenkette

§ 227, § 240 AO, § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob das FG zu Recht die Voraussetzungen für den Erlass von Säumniszuschlägen unter dem Gesichtspunkt der Ermessensreduzierung auf null bejaht hat. Das FA lehnte den Antrag der Kläger auf Erlass von Säumniszuschlägen wegen nichtentrichteter ESt-Vorauszahlungen und des Solidaritätszuschlags für 1995 ab; das nach erfolglosem Einspruchsverfahren angerufene FG gab der Klage statt und bejahte die Voraussetzungen für den beantragten Erlass.

Die Nichtentrichtung der ESt-Vorauszahlung beruhte auf dem Streit der Beteiligen, ob für ein im Streitjahr fertiggestelltes Mietwohngrundstück des Klägers einen Werbungskostenüberschuss im Bescheid zur Anpassung der Vorauszahlungen für ESt 1995 hätte berücksichtigt werden müssen. Dies hatte das FA ebenso abgelehnt wie die Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheids. Den anschließend ergangenen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO über Säumniszuschläge zur Anpassung von ESt und Solidaritätszuschlag 1995 haben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren vor dem FG angefochten; dieses Verfahren ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das – hier streitige – Erlassverfahren ausgesetzt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 37 Abs. 3 Satz 7 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung).

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das FG sei zu Unrecht – wegen angenommener Verfassungswidrigkeit des § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG – von einer Ermessensreduzierung auf null und damit von einer Pflicht des FA ausgegangen, die streitigen Säumniszuschläge gem. § 227 AO zu erlassen. Andere Gründe für eine Ermessensreduzierung auf null seien ebenso wenig ersichtlich wie Anhaltspunkte für sonstige Ermessensfehler des FA bei Ablehnung der beantragten Erlassentscheidung; die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen habe das FG nachzuholen.

 

Hinweis

1. Gem. § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – gem. § 3 Abs. 4, § 37 Abs. 1 und § 240 AO auch Säumniszuschläge – ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung, die grundsätzlich vom FG nur daraufhin zu überprüfen ist, ob die Behörde die Grenzen der Ermessensnorm eingehalten und davon in einer ihrem Zweck entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 102 FGO); lediglich wenn im Einzelfall nur eine bestimmte Entscheidung über das Erlassbegehren in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf null), kann das FG selbst unter Aufhebung der angefochtenen Behördenentscheidung über das Erlassbegehren in der Sache entscheiden.

2. Die vom FG im Streitfall bejahte Verfassungswidrigkeit des § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG als Grund für die Annahme einer solchen Ermessensreduzierung auf null liegt nach Auffassung des BFH nicht vor. Danach verletzt die Vorschrift mit ihrem Ziel, im Bereich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung typischerweise entstehende hohe Werbungskostenüberschüsse im Anfangsstadium der Einkünfteerzielung nicht bereits bei der ESt-Vorauszahlung, sondern erst im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen, nicht das objektive Nettoprinzip, weil die Werbungskostenüberschüsse bei der endgültigen ESt-Festsetzung berücksichtigt werden. Eine Benachteiligung ergibt sich lediglich für das ESt-Vorauszahlungsverfahren.

Auch wenn der Gesetzgeber mit der Regelung primär sog. Verlustzuweisungs- bzw. Bauherrenmodelle treffen wollte, spricht für die gewählte generelle Fassung zum einen, dass sie im Interesse der Rechtssicherheit schwierige Abgrenzungen zur Bestimmung sog. Verlustzuweisungsgesellschaften oder von Bauherrenmodellen und die in diesem Zusammenhang erforderliche Prüfung der endgültigen Höhe von Verlusten im Anfangsstadium eines Vermietungsobjekts vermeidet. Zum anderen konnte der Gesetzgeber gerade im Bereich der Vermietung und Verpachtung typisierend davon ausgehen, dass sich in vermehrter Zahl Fallgestaltungen von anfänglichen Werbungskostenüberhängen ergeben, die ggf. auch im Zeitraum der ESt-Vorauszahlungen noch nicht genau bezifferbar sind.

3. Die Verfassungsmäßigkeit des § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG schließt auch aus, die Voraussetzungen für den (zwangsläufigen) Erlass von Säumniszuschlägen wegen eines überhängenden Tatbestands zu bejahen. Denn § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG liefe ins Leere, wäre die Norm nicht mit allgemeinen Mitteln vollziehbar. Es entstünde insoweit ein verfassungswidriges Vollzugsdefizit (Art. 3 Abs. 1 GG; vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 9.3.2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.3.2007, IX R 17/06

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