Leitsatz
Die im Strafverfahren zu beachtenden rechtsstaatlichen Grundsätze schließen es aus, die Schätzung hinterzogener oder leichtfertig verkürzter Steuern wegen unterbliebener Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Tatsachenfeststellung mittels Reduzierung des Beweismaßes auf bloße Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu stützen.
Sachverhalt
Der Kläger erhielt im August 1999 ein Auskunftsersuchen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung. Gegenüber der Behörde erklärte der Kläger, er habe mit der Einführung der Zinsabschlagsteuer Kapital in beachtlicher Höhe im Ausland angelegt und bisher unterlassen, die daraus erzielten Zinserträge zu versteuern. Auf Nachfrage der Steuerfahndung gab der Kläger an, von welchen Konten Übertragungen erfolgten und reichte auf weitere Nachfrage Depotaufstellungen hierzu nach. Ergänzend wurde vorgetragen, dass dem Kläger auch Kapital aus der Veräußerung eines ererbten Hauses zugeflossen sei. Aus diesen Angaben schätzte die Steuerfahndung unter Berücksichtung einer jährlichen Ansparung, Wiederanlage der Zinserträge und einem Zinssatz in Höhe von 7,5 % das Anfangsvermögen auf den 1. Januar 1987 und die nachfolgenden jährlichen Zinserträge bis zur Anlage des Kapitals im Ausland. Der Beklagte erließ aufgrund dieser Ermittlungen in 2001 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1987 bis 1992. Der Kläger legte gegen diese Änderungsbescheide Einspruch ein und erläuterte die Mittelherkunft zum 1. Januar 1993 auf dem Auslandskonto mit seinem Guthaben auf einem Konto bei einer anderen Bank und seinen hohen Einkünften aus selbstständiger Arbeit im Jahre 1992. Auf die Aufforderung des Beklagten, diese Behauptungen nachzuweisen, reagierte der Kläger nicht. Der Einspruch des Klägers wurde daher als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, für die Streitjahre Einkünfte aus Kapitalvermögen hinzuzuschätzen. Die Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung, die eine Festsetzungsfristverlängerung zur Folge hat, konnte der erkennende Senat im Streitfall nicht erkennen. Der Beklagte habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass für die Streitjahre der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten gewesen sei. Dieser Grundsatz schließe aus, die Schätzung hinterzogener Steuern entsprechend den allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten auf Wahrscheinlichkeitserwägungen auszurichten. Der Kläger als Beschuldigter eines Strafverfahrens dürfe die Aussage und jede Mitwirkung an seiner eigenen Verurteilung verweigern. Steuerrechtliche Verfahrensvorschriften seien so auszulegen, dass die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden, verfassungsrechtlich gebotenen Prinzipien gewährleistet seien.
Hinweis
Die Entscheidung stützt sich im Streitfall auf die Rechtsprechung des BFH (z. B. BFH, Urteil v. 14.8.1991, X R 86/88, BStBl 1992 II S. 128). Das Urteil weicht jedoch auch von einer Entscheidung des 4. Senats des BFH ab, der entschieden hatte, dass sich trotz des Grundsatzes "in dubio pro reo" das Beweismaß mindere, wenn die vollständige Aufklärung des Sachverhalts scheitere, weil der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht genüge (BFH, Urteil v. 2.7.1998, IV R 39/97, BStBl 1999 II S. 28). Der erkennende Senat hatte daher die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO). Eine abschließende Antwort auf diese spannende Frage aus der Schnittmenge Steuerstraf- und Steuerverfahrensrecht steht also noch aus. Steuerhinterzieher sollten sich also noch nicht zu früh freuen.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 04.11.2004, 11 K 2702/02 E