Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Ist bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag um mehr als 20 % gemindert und hat der Steuerschuldner die Minderung nicht zu vertreten, so wird die Grundsteuer wegen sachlicher Unbilligkeit auf Antrag zum Teil erlassen.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine vermögensverwaltende Immobilien-KG und errichtete 1995 auf eigenem Grundstück einen Gebäudekomplex mit Büro-, Wohn- und Ladenflächen sowie einer Tiefgarage. Im März 1997 beantragte sie, die Grundsteuer 1996 gemäß § 33 Abs. 1 GrStG a. F. i. H. v. 46,14 % zu erlassen, da die Büroflächen bis Ende 1996 weitgehend nicht hätten vermietet werden können. Das Finanzamt hat den begehrten Erlass abgelehnt.
Entscheidung
Das FG hat im zweiten Rechtsgang entschieden, dass die Ablehnung des begehrten Grundsteuererlasses rechtswidrig ist und dass die Klägerin einen Anspruch auf den beantragten Grundsteuererlass hat.
Ist bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag um mehr als 20 % gemindert und hat der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten, so wird die Grundsteuer nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG a. F. in Höhe des Prozentsatzes erlassen, der vier Fünfteln des Prozentsatzes der Minderung entspricht. Normaler Rohertrag eines im Ertragswertverfahren zu bewertenden bebauten Grundstücks ist nach § 33 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GrStG a. F. die Jahresrohmiete, die bei einer Hauptfeststellung auf den Beginn des Erlasszeitraums maßgebend wäre. Unter Jahresrohmiete ist das Gesamtentgelt zu verstehen, dass der Mieter für die Nutzung des Grundstücks aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand im Feststellungszeitpunkt für ein Jahr zu entrichten hat. Ist ein Grundstück leerstehend, gilt als Jahresrohmiete die übliche, d. h. die für Räume gleicher Art, Lage und Ausstattung zu schätzende Miete. Diese ist auch dann maßgeblich, wenn Räume für eine um mehr als 20 % von der üblichen Miete abweichende Miete überlassen sind.
Die Klägerin beruft sich zu Recht darauf, dass der normale Rohertrag im Jahr 1996 um mehr als 20% gemindert war. Die von ihr vorgelegte Berechnung entspricht diesen Vorgaben. Anders als im Fall des Erlasses nach § 33 Abs. 1 Satz 2 GrStG a. F. kommt es auch nicht auf die persönliche Erlassbedürftigkeit der Klägerin an, denn beim Erlass nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG a. F. handelt es sich nicht um einen Erlass wegen sachlicher und nicht wegen persönlicher Unbilligkeit.
Auch die weitere Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige die Minderung der Jahresrohmiete nicht zu vertreten haben darf, ist erfüllt. Denn die Klägerin hat sich nachhaltig um eine Vermietung der Räumlichkeiten zu marktüblichen Konditionen bemüht. Dabei ist sie nicht verpflichtet, sich stets den unteren Rand der Mietpreisspanne zu eigen zu machen.
Hinweis
Nach jüngster höchstrichterlicher Rechtsprechung zu § 33 GrStG a. F. kommt ein Erlass auch in den Fällen des strukturell bedingten Leerstands (z. B. bei mangelnder Mieternachfrage) in Betracht. Infolge der damit ausgeweiteten Anwendung des § 33 GrStG a. F. wurden von den Gemeinden erhebliche Grundsteuerausfälle befürchtet. Die Vorschrift ist daher mit Wirkung v. 1.1.2008 neu gefasst worden. § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG n. F. macht den Anspruch auf Erlass von Grundsteuer nunmehr u.a. davon abhängig, dass der normale Rohertrag um mehr als 50 % gemindert ist.
Link zur Entscheidung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.08.2012, 3 K 3318/07