Leitsatz
Ist der Abzug des Kinderfreibetrags günstiger als der Anspruch auf Kindergeld, erhöht sich die tarifliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder nach § 31 Satz. 4 EStG um den Anspruch auf Kindergeld auch dann, wenn der Kindergeldanspruch von den Berechtigten nicht realisiert wurde. Die Günstigerprüfung zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld wurde nicht als Wahlrecht ausgestaltet, so dass ein Kinderfreibetrag auch dann nicht angesetzt werden kann, wenn das günstigere Kindergeld nicht gewährt wurde.
Sachverhalt
Im Einspruchsverfahren gegen den ESt-Bescheid für das Jahr 2004 beantragten die Kläger die Berücksichtigung von 5 vollen Kinderfreibeträgen ohne Anrechnung des Kindergeldes, da der Anspruch auf Kindergeld wegen des bestandskräftigen Kindergeldablehnungsbescheids nicht mehr realisiert werden könne. Voraussetzung für die Gegenrechnung des Kindergelds sei nämlich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ein bestehender Anspruch auf Kindergeld. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück, da es nach der neuen Rechtslage nicht mehr auf die Auszahlung des Kindergelds, sondern nur noch darauf ankomme ob ein entsprechender Anspruch bestanden habe. Der Anspruch auf Kindergeld sei nur dann nicht maßgeblich, wenn die Durchsetzung der Auszahlung unverschuldet nicht möglich gewesen sei. Im Streitfall sei den Eltern aber ein Verschulden hinsichtlich des Nichterhalts von Kindergeld vorzuwerfen, da sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen seien.
Entscheidung
Da im Streitfall die Gewährung von Kindergeld günstiger ist als die Gewährung von Kinderfreibeträgen, sind gemäß § 31 Satz 4 EStG keine Kinderfreibeträge anzusetzen. Ein Rückgriff auf einen Kinderfreibetrag ist, soweit das Kindergeld günstiger ist bzw. - im Fall seiner Auszahlung - günstiger gewesen wäre, nicht möglich. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der ab dem Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung des § 31 Satz 4 EStG, wonach bei der sog. "Günstigerprüfung" auf den "Anspruch auf Kindergeld" abzustellen ist. Die finanzielle Einbuße der Kläger in Höhe des Kindergelds ist die Folge der Tatsache, dass sie die Bestandskraft des Kindergeldablehnungsbescheids selbst verschuldet haben. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nach Auffassung des FG gegen diese Regelung nicht.
Hinweis
1. Die wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision wurde eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. III R 82/09 geführt.
2. Das FG Münster hat mit Urteil v. 29.4.2008 entschieden, dass eine Anrechnung des Kindergelds im Rahmen der Günstigerprüfung gem. § 31 EStG unterbleibt, wenn dieser Anspruch nicht mehr realisiert werden kann. Auch gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt (AZ beim BFH: III R 48/08).
3. Das FG Düsseldorf hat mit Urteil v. 21.1.2010 entschieden, dass § 31 Satz 4 EStG in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung - in Abkehr von der bis zum Jahr 2003 geltenden Gesetzesfassung - für die Hinzurechnung des Kindergelds auf die tarifliche Einkommensteuer im Rahmen der Günstigerprüfung nicht mehr auf die Festsetzung und tatsächliche Zahlung des Kindergelds, sondern auf den Anspruch auf Gewährung von Kindergeld abstellt. Es sei daher unerheblich, ob auf das Kindergeld verzichtet worden ist und ob der Anspruch verfahrensrechtlich noch durchgesetzt werden könne. Gegen dieses Urteil wurde ebenfalls Revision eingelegt (AZ beim BFH: III R 13/10).
4. Im BMF-Schreiben v. 18.11.2005 ist für die Fälle, in denen der Anspruch auf Kindergeld bestandskräftig abgelehnt wurde, aber der Einkommensteuerbescheid für das gleiche Jahr noch nicht bestandskräftig ist, geregelt, dass bei einer zuvor erfolgten bestandskräftigen Ablehnung des Kindergelds im Rahmen der Günstigerprüfung auch kein Kindergeld gegenzurechnen ist, weil kein Anspruch auf Kindergeld mehr besteht.
5. Auch wenn das BMF-Schreiben vom 18.11.2005 zur nachträglichen Berücksichtigung von gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrags ergangen ist, kann nach Auffassung des Verfassers für andere Fälle, in denen ein Anspruch auf Kindergeld nicht mehr realisiert werden kann, nichts anderes gelten.
6. Ob die Gründe dafür, dass kein Kindergeld mehr realisiert werden kann, in der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung oder in einem bestandskräftigen Kindergeldablehnungsbescheid liegen, kann m. E. nicht entscheidend sein. Um jedoch einen mit den o.a. Urteilsfall vergleichbaren Rechtsstreit zu vermeiden ist es in jedem Fall ratsam, zunächst die Gewährung des Kindergelds bei der Familienkasse zu beantragen und nicht - wie im Streitfall des FG Düsseldorf (s. Punkt 3) geschehen - in der Hoffnung auf eine spätere höhere Einkommensteuererstattung kein Kindergeld zu beantragen.
7. Man darf aus den vorgenannten Gründen gespannt sein, wie der BFH letztlich entscheidet. Von besondere Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie der BFH die Frage des Verschuldens der grundsätzlich Kindergeldberechtigt...