Leitsatz
1. Nicht jeder nur in den Abendstunden oder an Wochenenden nutzbare Schreibtischarbeitsplatz in einem Praxisraum steht zwangsläufig als ein "anderer Arbeitsplatz" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG zur Verfügung.
2. Die Feststellung, ob ein selbständig Tätiger einen Arbeitsplatz in seiner Praxis in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise zumutbar nutzen kann, hat das FG im Rahmen einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände des Einzelfalls zu treffen.
3. Anhaltspunkte können sich sowohl aus der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes selbst (Größe, Lage und Ausstattung etc.) als auch aus den Rahmenbedingungen der Nutzung (Ausgestaltung der Nutzung der Betriebsräume, Verfügbarkeit des Arbeitsplatzes, zumutbare Möglichkeit der Einrichtung eines außerhäuslichen Arbeitsplatzes) ergeben.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war als selbstständiger Logopäde mit vier Angestellten in angemieteten Räumen in zwei Gemeinden tätig. Nach einer Außenprüfung strich das FA den Betriebsausgabenabzug für das häusliche Arbeitszimmer.
Das FG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 1.3.2016, 4 K 362/15, Haufe-Index 9454433, EFG 2016, 1154) gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer können bekanntlich nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Steht jedoch kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, können bis zu 1.250 EUR abgezogen werden; diese Beschränkung entfällt, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Vorliegend war unstreitig, dass das häusliche Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Klägers bildete.
2. Ein "anderer Arbeitsplatz" i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG ist grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung büromäßiger Arbeiten geeignet ist. Die Abzugsbeschränkung setzt keinen eigenen, räumlich abgeschlossenen Arbeitsbereich voraus. Auch ein Raum, den sich der Steuerpflichtige mit weiteren Personen teilt (z.B. Poolarbeitsplatz im Großraumbüro), kann ein anderer Arbeitsplatz im Sinne der Abzugsbeschränkung sein (BFH, Urteil vom 26.2.2014, VI R 37/13, BFHE 245, 22, BStBl II 2014, 570, BFH/NV 2014, 1138, Kommentierung s. BFH/PR 2014, 254).
Der andere Arbeitsplatz steht aber nur dann "für die betriebliche und berufliche Tätigkeit ... zur Verfügung", wenn ihn der Steuerpflichtige in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann. Ist die Nutzung des anderen Arbeitsplatzes (aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen) eingeschränkt, sodass ein nicht unerheblicher Teil der Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer verrichtet werden muss, entfällt das Abzugsverbot.
3. Ob ein Steuerpflichtiger seinen anderen Arbeitsplatz in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise nutzen kann, hat das FG im Rahmen einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände des Einzelfalls festzustellen. Anhaltspunkte können sich aus der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes (Größe, Lage, Ausstattung) und den Rahmenbedingungen der Nutzung (Verfügbarkeit und Zugang) ergeben.
Selbstständige haben es insoweit schwerer als Arbeitnehmer, da sie die konkrete Ausgestaltung und die Art und Weise der Nutzung des außerhäuslichen Arbeitsplatzes regelmäßig selbst bestimmen und in den angemieteten oder in ihrem Eigentum stehenden Räumen in zumutbarer Weise einen geeigneten, büromäßigen Arbeitsplatz einrichten können.
4. Der BFH ist an die Tatsachenwürdigung des FG gebunden, wenn sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang steht. Die Entscheidung des FG, dass dem Kläger für seine erforderliche Bürotätigkeit kein "anderer Arbeitsplatz" zur Verfügung stand, war danach hier revisionsrechtlich nicht zu beanstanden:
- Ein Schreibtischplatz in einem Praxisraum steht nicht zwingend für alle Aufgabenbereiche zur Verfügung. Das FG hat dies hier im Hinblick auf die Tätigkeit des Klägers außerhalb der Praxis, die Größe, die Ausstattung und die konkrete Nutzung der Praxisräume durch die Angestellten sowie auf die Vertraulichkeit der für die Bürotätigkeit erforderlichen Unterlagen und den Umfang der Büro- und Verwaltungstätigkeiten verneint.
- Das FG hat zu Recht weiter berücksichtigt, dass sich der Kläger in seiner in H. gelegenen Praxis regelmäßig nicht aufgehalten hatte und seine in S. eingerichteten Praxisräume angesichts der dort tätigen Angestellten nur eingeschränkt für Büroarbeiten nutzen konnte.
- Das FG konnte schließlich auch die besondere Ausstattung der Räume (Therapieräume) ebenso in seine Gesamtwürdigung einbeziehen wie den Umstand, dass die Lohnabrechnungen für vier Angestellte und die Verbuchung der Einnahmen aus der Praxistätigkeit jährlich einen entsprechenden Verwaltungs- und damit verbundenen Zeitaufwand erforde...