Leitsatz
Maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen sind, ist derjenige der Übereignung (Festhaltung an der ständigen Rechtsprechung des Senats). Eine Übereignung eines Unternehmens im Ganzen liegt danach jedenfalls dann vor, wenn die bei Beginn der Übertragung der einzelnen Grundlagen des Unternehmens vorhandenen Betriebsgrundlagen im Wesentlichen vollständig auf den Erwerber übergehen.
Normenkette
§ 75 AO
Sachverhalt
Die Klägerin hatte ein landwirtschaftliches Lohnunternehmen übernommen. Deshalb wurde sie für Steuerschulden des früheren Inhabers auf Haftung in Anspruch genommen, weil sie das Unternehmen "im Ganzen" übernommen habe. Die Klägerin wandte dagegen ein, dass sie von den früher genutzten landwirtschaftlichen Maschinen nur den kleineren Teil übernommen habe. Der größere Teil der Maschinen sei vor der Übernahme wegen offener Kaufpreisforderungen an den Lieferanten zurückgegeben, anderweitig verkauft oder verschrottet worden. Außerdem habe sie den Maschinenpark alsbald mit erheblichem Aufwand erweitert.
Das FG hatte eine Übernahme des Unternehmens im Ganzen verneint, weil entgegen bisheriger BFH-Rechtsprechung die Vorgänge berücksichtigt werden müssten, die in unmittelbarem zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Übernahme stehen, selbst wenn sie zeitlich vor der Übergabe liegen. Dem ist der BFH nicht gefolgt.
Entscheidung
Der BFH hat an seiner bisherigen Rechtsprechung zu dem bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen "im Ganzen" übereignet worden ist, maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt festgehalten. Dies sei derjenige der Unternehmensübergabe; was vorher geschehen sei, ob etwa der Betrieb vorher Betriebsgrundlagen ab- oder aufgegeben habe, sei grundsätzlich ohne Bedeutung.
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AO sei allerdings Voraussetzung für eine Unternehmensübertragung im Ganzen, dass der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte Investitionen fortführen könnte, wenn er dies wolle, und dass zwischen dem bisherigen Unternehmen und dem vom Erwerber geführten Identität besteht. Das setze der Haftungsinanspruchnahme bei Übernahme lediglich des "Rests" eines früheren Betriebs Grenzen.
Hinweis
Eine haftungsbegründende Übereignung eines Unternehmens "im Ganzen" liegt vor, wenn die übereigneten Gegenstände die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens waren und geeignet sind, die wesentlichen Grundlagen für den Betrieb des Erwerbers zu bilden. Sie setzt den Übergang der gesamten durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen voraus.
Beachten Sie aber, dass Betriebsgrundlagen eines lebenden Unternehmens nicht nur die Maschinen und Betriebsgrundstücke, sondern z.B. auch der Kundenstamm und die Firma als solche sein können. Deshalb kann eine Unternehmensübergabe im Ganzen zu bejahen sein, auch wenn der überwiegende Teil der vom Betrieb bisher genutzten Maschinen nicht mit übertragen wird. Welche Bedeutung die Maschinen und Grundstücke für ein Unternehmen im Verhältnis zu anderen Betriebsgrundlagen haben, wird dabei von Fall zu Fall und vor allem von Branche zu Branche unterschiedlich zu beurteilen sein.
Auch wenn sich die Übereignung des Unternehmens nicht an einem (Stich-)Tag vollzieht, sondern über einen gewissen Zeitraum erstreckt, nimmt der BFH eine Übereignung des Unternehmens im Ganzen an, wenn die bei Beginn des Übertragungsvorgangs vorhandenen Betriebsgrundlagen schließlich im Wesentlichen vollständig auf den Erwerber übergehen.
Ob es eine Haftung ausschließen würde, wenn der Veräußerer einzelne (nicht wesentliche) Betriebsgrundlagen für sich zurückbehält oder im gleichen Zeitpunkt anderweitig veräußert, lässt der BFH offen. Es dürfte indes zu verneinen sein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.11.2002, VII R 11/01