Leitsatz
1. Ob der Betrag der Einlagenrückgewähr in der Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) überhöht ausgewiesen ist (§ 27 Abs. 5 Satz 4 KStG), richtet sich nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG (Einlagenrückgewähr) und dem gesondert festgestellten Bestand des steuerlichen Einlagekontos auf den Schluss des vorangegangenen Jahres; der Bescheid über die gesonderte Feststellung des steuerlichen Einlagekontos auf den Schluss des Jahres der Leistung entfaltet insoweit keine Bindungswirkung.
2. Nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG haftet der Aussteller der Bescheinigung verschuldensunabhängig für die auf den überhöhten Ausweis der Einlagenrückgewähr entfallende Kapitalertragsteuer.
3. Die auf den überhöht ausgewiesenen Betrag der Einlagenrückgewähr entfallende Kapitalertragsteuer ist durch Haftungsbescheid geltend zu machen (§ 27 Abs. 5 Satz 4 KStG), wobei nur der Erlass eines Haftungsbescheids dem Gesetz entspricht.
4. Ein Haftungsbescheid ist (als solcher) nur dann hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 der Abgabenordnung), wenn die Überschrift und der verfügende Teil (Tenor) des Bescheids erkennen lassen, dass der Inhaltsadressat als Haftender für fremde Schuld einstehen soll (Bestätigung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 11.10.1989 ‐ I R 139/85, BFH/NV 1991, 497).
Normenkette
§ 27 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3, Abs. 5 Sätze 4 und 5 KStG, § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 167 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin (GmbH), ein Gemeinschaftsunternehmen zweier Bundesländer, schüttete, nachdem sie einen ausschüttbaren Gewinn (aus damaliger Sicht zu Recht) nicht ermittelt hatte, einen Großteil ihres steuerlichen Einlagekontos an ihre Gesellschafter aus und bescheinigte in voller Höhe die Verwendung des Einlagekontos. Eine bei der Klägerin durchgeführte BP änderte u. a. die Bewertung von Rückstellungen und ermittelte so nachträglich einen ausschüttbaren Gewinn, der nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG vorrangig als verwendet gilt. Die Klägerin berichtigte die danach überhöht ausgestellten Bescheinigungen nicht. Das FA nahm die Klägerin deshalb wegen der überhöht ausgewiesenen Einlagenrückgewähr auf Zahlung in Anspruch. Der Bescheid ist im Tatbestand des BFH-Urteils wörtlich wiedergegeben. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Die Voraussetzungen von § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG lägen (auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht) vor, so das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.6.2020, 10 K 5250/16, Haufe-Index 14204770).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Klägerin hätte wegen der überhöht bescheinigten Einlagenrückgewähr durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden müssen. Das sei jedoch nicht geschehen, denn der angefochtene Bescheid sei kein Haftungsbescheid.
Hinweis
Vereinfacht gesagt hatte das FA den Wortlaut der mit SEStEG eingeführten Vorschrift in § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG nicht ernst genommen, wonach die Haftung für eine überhöht bescheinigte Einlagenrückgewähr "durch Haftungsbescheid" geltend gemacht werden muss. Der im Streitfall angefochtene Bescheid war kein Haftungsbescheid. Das Besprechungsurteil klärt aber auch grundsätzliche Fragen bei der Anwendung von § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG.
1.§ 27 Abs. 5 Satz 4 KStG erfasst die überhöht ausgewiesene Einlagenrückgewähr ("in anderen Fällen"). Wann ist die Einlagenrückgewähr überhöht ausgewiesen? Auszugehen ist von dem gesondert festgestellten Bestand des steuerlichen Einlagekontos auf den Schluss des vorangegangenen Jahrs. Dieser Bescheid entfaltet Bindungswirkung. Maßgeblich ist darauf aufbauend die Verwendungsreihenfolge, wie sie sich aus § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG ergibt. "Überhöht" heißt fehlerhaft zu hoch. Maßstab für die Haftung des Ausstellers der Bescheinigung ist deshalb, in welcher Höhe die Einlagenrückgewähr richtigerweise hätte bescheinigt werden müssen (materiell-rechtliche Konzeption). In welcher Höhe sie im Feststellungsbescheid auf den Schluss des Jahrs der Rückgewähr berücksichtigt ist, hat dagegen keine Bedeutung. Dieser Feststellungsbescheid ist ggf. an die der Haftung nach § 27 Abs. 5 Satz 4 zugrunde gelegte Einlagenrückgewähr anzupassen.
2. Umstritten war, ob § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG eine eigenständige Haftungsgrundlage schafft oder ob er insoweit auf § 44 Abs. 5 EStG verweist (Rechtsgrundverweisung). Der BFH hat nun entschieden, dass § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG eine verschuldensunabhängige eigenständige Haftung für die überhöht ausgewiesene Einlagenrückgewähr anordnet, von der sich die Kapitalgesellschaft nur befreien kann, indem sie die Bescheinigung berichtigt. Zur Frage, in welchem Verhältnis die Haftung nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG und die Haftung nach § 44 Abs. 5 EStG zueinander stehen, hat der BFH nicht Stellung genommen, da im Streitfall die Haftung auf § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG und die überhöht ausgewiesene Bescheinigung gestützt worden ist.
3. Die Haftung nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG ist durch Haftungsbescheid und nur durch Haftungsbescheid geltend zu mach...