Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Zahlungen aufgrund einer Haftung nach § 69 AO sind grundsätzlich (nachträgliche) Werbungskosten, wenn die haftungsauslösende Pflichtverletzung während der Tätigkeit als Geschäftsführer verursacht wurde und ein objektiver Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und der beruflichen Tätigkeit besteht.
Sachverhalt
Die Klägerin war Gesellschafterin der Firma B-GmbH und dort als Geschäftsführerin angestellt. Mit Haftungsbescheid vom 3.11.2015 nahm das Finanzamt A sie für die Verkürzung von Umsatzsteuer der B-GmbH nach §§ 69, 71 AO in Anspruch. Nach der Begründung des Haftungsbescheids erfolgte die Inanspruchnahme infolge der als Geschäftsführerin begangenen Pflichtverletzung. Die Klägerin hat den Haftungsbetrag von 162.400 EUR am 19.4.2016 auf das Konto des Finanzamts A eingezahlt und diesen Betrag in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 beim Wohnsitzfinanzamt B steuermindernd geltend gemacht. Dieses lehnte jedoch die Berücksichtigung ab.
In dem nach der erfolglosen Durchführung des Einspruchsverfahrens angestrengten Klageverfahren beantragte die Klägerin, den eingezahlten Haftungsbetrag als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit zu berücksichtigen. Die Zahlung sei bereits dem Jahr 2015 zuzuordnen, da die Steuerfahndung das Bankschließfach, in dem sich das Bargeld zur Zahlung befunden habe, im Jahr 2015 versiegelt habe. Daher sei ihre Verfügungsbefugnis schon 2015 entfallen.
Entscheidung
Das FG hat dem Finanzamt Recht gegeben und die Klage als unbegründet abgewiesen, weil die Ausgaben erst mit Einzahlung des Geldbetrags auf das Konto des Finanzamts A am 19.4.2016 geleistet worden seien und nicht bereits bei Beschlagnahme des Bankschließfachs.
Bei der Geschäftsführerhaftung sind Zahlungen aufgrund eines auf § 69 AO gestützten Haftungsbescheids nach Auffassung mehrerer FG grundsätzlich (nachträgliche) Werbungskosten, wenn die haftungsauslösende Pflichtverletzung während der Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer verursacht wurde und ein objektiver Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und der beruflichen Tätigkeit besteht. Die Haftungsinanspruchnahme beruht dann nicht auf der Stellung als Gesellschafter, sondern ausschließlich auf dem Verhalten als Geschäftsführerin.
Die aus der Haftungsinanspruchnahme entstandenen Aufwendungen von 162.400 EUR sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständige Arbeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG jedoch nicht im Streitjahr 2015 zu berücksichtigen. Der Abfluss von Aufwendungen setzt eine Vermögensverschiebung zwischen zwei Rechtssubjekten voraus und muss daher "nach außen" erfolgen. Durch die Beschlagnahme des im Bankschließfach befindlichen Geldes im Jahr 2015 durch Versiegelung des Fachs kann noch nicht von einer Vermögensminderung bei der Klägerin und einem Verlust der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über ihr Bargeld ausgegangen werden, da durch diese Maßnahme keine nach außen sichtbare Vermögensverschiebung zwischen der Klägerin und dem hier nicht beklagten Finanzamt A stattgefunden hat. Überdies wurde das Schließfach bei der Bank lediglich versiegelt. Es wurde kein Geld der Klägerin durch die Steuerfahndung mitgenommen.
Hinweis
Die Klägerin hat die vom FG zugelassene Revision eingelegt, Az beim BFH IX R 29/22. Dieser hat nun darüber zu entscheiden, ob der Zeitpunkt des Verlustes der wirtschaftlichen Verfügungsmacht (bspw. durch Beschlagnahmung) über ein in Geld oder Geldeswert bestehendes Wirtschaftsgut maßgeblich für die zeitliche Zurechnung von Ausgaben im Sinne des § 11 Abs. 2 EStG als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ist.
Link zur Entscheidung
FG Nürnberg, Urteil v. 20.10.2022, 4 K 1287/20