Ass. jur. Viola C. Didier
Leitsatz
Legt der Steuerpflichtige den Hin- und Rückweg von der Wohnung zur Arbeitsstätte an unterschiedlichen Tagen zurück, so wird als Aufwand für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für jeden Tag nur die halbe Entfernungspauschale gewährt.
Sachverhalt
Ein Wirtschaftsprüfer und Steuerberater mit Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit machte Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt stellte jedoch im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung fest, dass er an manchen Arbeitstagen nur eine einfache Hinfahrt von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte bzw. eine Rückfahrt von der Arbeitsstätte zur Wohnung durchgeführt hatte. Der Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte bzw. von der Arbeitsstätte zur Wohnung schloss sich in diesen Fällen entweder eine Dienstreise mit Übernachtung an oder ging dieser voraus. Mit seinem erfolglosen Einspruch trug der Wirtschaftsprüfer vor, die Geltendmachung der Entfernungspauschale setze im Gegensatz zu der Rechtslage vor dem 1.1.2001 keine tatsächlich vorgenommenen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mehr voraus, sondern lediglich das Aufsuchen der Arbeitsstätte.
Entscheidung
Vor Gericht hatte der Wirtschaftsprüfer keinen Erfolg. Der Abzug der vollen Entfernungspauschale setze voraus, dass der Arbeitnehmer an einem Arbeitstag den Weg von der Wohnung zu seiner Arbeitsstätte und von dort wieder zurück zu seiner Wohnung zurücklege. Lege der Steuerpflichtige den Hin- und Rückweg an unterschiedlichen Tagen zurück, so könne er die Entfernungspauschale für jeden Tag nur zur Hälfte geltend machen, stellten die Richter klar. Die Rechtslage habe sich insoweit aufgrund des Gesetzes zur Einführung einer Entfernungspauschale vom 21.12.2000, BGBl 2000 I S. 1918, BStBl 2001 I S. 36 gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage nicht geändert. Der Gesetzgeber habe zwar aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen die bisherige Rechtslage umgestaltet und die bisherigen Kilometer-Pauschbeträge durch eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale ersetzt. Dadurch sollte jedoch insbesondere die Bildung von Fahrtgemeinschaften "honoriert" werden, da die Entfernungspauschale für den Fahrer und jeden Mitfahrer gilt. Die Entfernungspauschale könne somit nur für tatsächlich zurückgelegte Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte berücksichtigt werden. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG, wonach die Entfernungspauschale für jeden Arbeitstag anzusetzen ist, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte "aufsucht". Diese Formulierung verdeutliche, dass es für die Gewährung der Entfernungspauschale nicht darauf ankomme, auf welche Weise der Arbeitnehmer den Weg zur Arbeitsstätte zurücklegt (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, 31. Aufl., § 9 EStG, Rz 109, m.w.N.). Der Vorschrift könne jedoch nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber abweichend von der bisherigen Rechtslage die volle Entfernungspauschale bereits bei Zurücklegen eines einfachen Hin- oder Rückweges habe gewähren wollen. Die Auffassung des Klägers, die Geltendmachung der Entfernungspauschale setze keine tatsächlich vorgenommenen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und zurück mehr voraus, könne laut FG nicht darauf gestützt werden, dass der Gesetzestatbestand nicht mehr an "Fahrten", sondern an die zurückgelegten "Wege" zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anknüpfe. Diese geänderte Formulierung entspreche ebenfalls dem gesetzgeberischen Ziel, die Entfernungspauschale verkehrsmittelunabhängig auszugestalten (s. BT-Drucks. 14/4242 S. 6, linke Spalte, 2. Abs.).
Hinweis
Auch bei der Einführung der Entfernungspauschale ging der Gesetzgeber von einem arbeitstäglichen Hin- und Rückweg aus. Dies bedeutet, dass einem Arbeitnehmer, der an einem Arbeitstag nur den Hinweg zurücklegt und an der Arbeitsstätte übernachtet und am nächsten Tag den Rückweg zurücklegt, insgesamt nur eine volle Entfernungspauschale zusteht bzw. eine halbe Pauschale je Arbeitstag (allgemeine Auffassung; s. von Bornhaupt, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 EStG, Rdnr. F 77; Schmidt/Loschelder, EStG, Kommentar, 31. Aufl., § 9 EStG, Rz 122; Thürmer/Blümich, EStG, § 9 EStG, Rz. 295; Bergkemper, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Kommentar, § 9 EStG, Anm. 457; Lochte, in Frotscher, EStG, § 9 EStG, Rz. 124, 129).
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.06.2012, 7 K 4440/10