Leitsatz
Umsätze, die eine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen durch Gestellung von Haushaltshilfen i.S.d. § 38 SGB V erzielt, sind, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG erfüllt sind, steuerfrei.
Normenkette
§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst. In den Streitjahren 1999 bis 2001 wurden die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen.
Die Klägerin erbrachte auch Leistungen der Haushaltshilfe nach § 38 Abs. 1 SGB V.
Das FA war der Ansicht, dass diese Umsätze steuerpflichtig und nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerbefreit seien.
Das FG gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 01.02.2007, 16 K 486/03, Haufe-Index 1761089, EFG 2007, 1118).
Entscheidung
Die Revision das FA hatte aus den in den Praxis-Hinweisen angeführten Gründen keinen Erfolg.
Hinweis
1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sind – unter weiteren, im Besprechungsfall nicht streitigen Voraussetzungen – steuerfrei, die mit dem Betrieb der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze.
"Eng verbunden" i.S. dieser Vorschrift ist jede Leistung, die für die Pflege und Versorgung dieses Personenkreises unerlässlich ist (BFH, Urteil vom 25.01.2006, V R 46/04, BFH/NV 2006, 1031, BFH/PR 2006, 284).
2. Nach § 38 Abs. 1 SGB V erhalten Versicherte eine Haushaltshilfe, wenn ihnen wegen einer Krankenhausbehandlung oder einer Leistung nach § 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder 41 die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist. Voraussetzung ist, dass im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert oder auf Hilfe angewiesen ist.
Die Übernahme dieser Kosten durch die Träger der Sozialversicherung gem. § 38 Abs. 1 SGB V lässt sich nur damit erklären, dass sie mit der Krankenbehandlung oder den Maßnahmen zur Gesunderhaltung eng verbunden sind. Dies spricht dafür, die Gestellung einer Haushaltshilfe als einen Umsatz anzusehen, der eng mit dem Betrieb eines ambulanten Pflegediensts verbunden und somit nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerfrei ist. Diese Auslegung entspricht auch dem mit der Steuerbefreiung angestrebten Zweck, zur Kostenentlastung der Sozialversicherungsträger beizutragen.
3. Außerdem ergibt sichdie Steuerbefreiung für diese Leistungen auch aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL.
Danach befreien die Mitgliedstaaten von der USt u.a. die Dienstleistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind.
Die Klägerin des Besprechungsfalls ist unstreitig eine Einrichtung mit sozialem Charakter.
DerEuGH und ihm folgend der BFH haben bereits entschieden, dass die Leistungen, die die hauswirtschaftliche Versorgung der erkrankten Person selbst betreffen (vgl. § 37 SGB V)und von ambulanten Pflegediensten erbracht werden, eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL darstellen (EuGH, Urteil vom 10.10.2002, Rs. C-141/00, "Kügler", BFH/NV Beilage 2003, 30, BFH/PR 2003, 29; BFH, Urteil vom 22.04.2004, V R 1/98, BFH/NV 2004, 1348, BFH/PR 2004, 402).
Mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit eng verbunden sind aber auch die Dienstleistungen einer Haushaltshilfe, die die kleinen oder sonst hilfsbedürftigen Kinder einer kranken Person in der Zeit versorgt, in der Letztere krankheitsbedingt dazu nicht in der Lage ist. Nach dem EuGH-Urteil vom 09.02.2006, Rs. C-415/04, "Kinderopvang Enschede", BFH/NV Beilage 2006, 256, BFH/PR 2006, 205) gehört die Kinderbetreuung durch Einrichtungen mit sozialem Charakter zu den nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der 6. EG-RL steuerbefreiten Dienstleistungen.
4. Auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL kann sich der Steuerpflichtige unmittelbar berufen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 22.04.2004, V R 1/98, BFH/NV 2004, 1348, BFH/PR 2004, 402).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.07.2008 – XI R 61/07