Leitsatz
Ein Kind ist in den Haushalt des Elternteils aufgenommen, bei dem es wohnt, versorgt und betreut wird, sodass es sich in der Obhut dieses Elternteils befindet. Bei Aufenthalten eines Kindes sowohl in dem Haushalt des einen wie auch des anderen Berechtigten ist darauf abzustellen, wo sich das Kind überwiegend aufhält und wo es seinen Lebensmittelpunkt hat. Je länger ein volljähriges Kind nach eigenem Entschluss im Haushalt des anderen Elternteils lebt, desto mehr spricht dafür, dass dort ein neues Obhutsverhältnis begründet worden ist.
Sachverhalt
Die Klägerin beantragt für September 2019 bis März 2020 Kindergeld für ihren im Jahr 2000 geborenen Sohn. Die Familienkasse hatte für diesen Zeitraum das Kindergeld zurückgefordert, da der Sohn in diesem Zeitraum im Haushalt des Beigeladenen (Kindsvater) aufgenommen gewesen sei, der deshalb einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld habe. Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, der Sohn sei vom September 2019 bis März 2020 zwar einwohnermelderechtlich beim Beigeladenen gemeldet gewesen, er habe sich aber jeden Tag bei der Mutter aufgehalten und auch alle Wochenenden bei ihr verbracht. Beim Beigeladenen habe er nur übernachtet. Sie und der Beigeladene hätten eine stillschweigende Bezugsbestimmung getroffen, nach der das Kindergeld weiterhin der Klägerin zustehen solle.
Entscheidung
Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Das FG ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens der Überzeugung, dass der Sohn von September 2019 bis März 2020 nicht im Haushalt der Klägerin, sondern im Haushalt des Beigeladenen aufgenommen war. Dass die Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen bereits ab Anfang September 2019 erfüllt sei, ergebe sich für das FG daraus, dass der Sohn ausgesagt habe, dass er bereits Ende August 2019 mit seinen wichtigsten Sachen in den Haushalt des Beigeladenen umgezogen sei. Die Klägerin musste aus ihrer Wohnung ausziehen, hat danach in einer Obdachlosenunterkunft gelebt und ist erst im November in eine andere Wohnung gezogen. Da der Sohn im September 2019 auch gar nicht mehr in einem Haushalt der Klägerin leben konnte, stand für das FG fest, dass im September 2019 die Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen vorlag. Außerdem hat der Sohn gegenüber dem FG erklärt, dass er im September 2019 wegen seiner Ausbildung beim Beigeladenen wohnen wollte, da eine Anfahrt zur Ausbildung ansonsten viel zu umständlich gewesen wäre. Dies spreche auch für eine Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen. Außerdem habe der Sohn in dem Abzweigungsantrag angegeben, dass die Klägerin für ihn keinen Unterhalt leiste und er für die Monate September, Oktober und November 2019 auch nicht das Kindergeld von der Klägerin bekommen habe. Außerdem hat das FG den Eindruck gewonnen, dass der Beigeladene dem Sohn Fürsorge und Betreuung zukommen ließ und so auch die Voraussetzungen immaterieller Art erfüllt habe.
Hinweis
In seiner Entscheidung hat das FG darauf hingewiesen, dass das immaterielle Merkmal der Haushaltsaufnahme bei älteren, insbesondere volljährigen Kindern in den Hintergrund tritt und auch dann erfüllt sein könne, wenn sich die Zuwendungen immaterieller Art als Ausdruck des familiären Bandes (Fürsorge und Betreuung) darstellten.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil v. 26.07.2022, 12 K 1072/21