Leitsatz
1. Das Entgelt für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Arzneimitteln durch eine gesetzliche Krankenkasse bemisst sich nach dem von dieser an die jeweilige Versandapotheke gezahlten – rabattierten – Betrag zuzüglich des von dem pharmazeutischen Unternehmer der Apotheke gezahlten Herstellerrabatts.
2. Die Berücksichtigung des Herstellerrabatts als Entgeltbestandteil verstößt bei Lieferungen von Arzneimitteln in einer – mit Ausnahme der Versandapotheke – inländischen Lieferkette von einem pharmazeutischen Unternehmer über einen Großhändler und eine Versandapotheke an eine gesetzliche Krankenkasse nicht gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Normenkette
§ 10 Abs. 1, § 17 Abs. 1 UStG, Art. 73, Art. 83 Satz 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Betriebskrankenkasse, die die Erwerbsschwelle i.S.d. § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG überschritt. Die bei der Klägerin versicherten Personen lösten ärztliche Medikamentenverordnungen u.a. bei niederländischen Versandapotheken ein. Diese versandten die Medikamente aus den Niederlanden entweder direkt an die Versicherten ins Inland oder zwecks Abholung durch die Versicherten an eine inländische Apotheke. Für die Abgabe der Medikamente zahlte die Klägerin an die Versandapotheken jeweils einen um u.a. den sog. Herstellerrabatt (Abschlag nach § 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V) geminderten Betrag. Der Herstellerrabatt wurde den Versandapotheken vom pharmazeutischen Unternehmer erstattet.
Das FA ging davon aus, dass die Klägerin umsatzsteuerrechtliche Leistungsempfängerin der von den Versandapotheken gelieferten Medikamente sei; zur Bemessungsgrundlage dieser steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerbe gehöre auch der Herstellerrabatt. Der Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG Münster, Urteil vom 13.3.2018, 15 K 832/15 U, Haufe-Index 11781790, EFG 2018, 1063) statt.
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Liefert wie im Fall des Besprechungsurteils ein pharmazeutisches Unternehmen A Arzneimittel im Inland an einen Großhändler B, der diese innergemeinschaftlich an eine Versandapotheke C in die Niederlande weiterliefert, die dann ihrerseits innergemeinschaftlich an eine gesetzliche Krankenkasse D zur Abgabe an Kassenpatienten liefert, stellt sich die Frage, mit welcher Bemessungsgrundlage D den innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern hat, wenn die Krankenkasse D an die Versandapotheke C nur einen um den sog. Herstellerrabatt (Abschlag i.S.v. § 130a Abs. 1 Satz 1 SGB V) geminderten Betrag zahlt, den der Hersteller A zugunsten der Versandapotheke C ausgleicht.
2. Der BFH geht hierzu davon aus, dass die Rabatterstattung durch den Hersteller A an die Versandapotheke C für deren Lieferung an die Krankenkasse D als Drittentgelt i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG aufzufassen ist, sodass sich hierdurch die Bemessungsgrundlage für den durch D (ohne Recht auf Vorsteuerabzug) zu versteuernden innergemeinschaftlichen Erwerb erhöht.
Der BFH begründet dies damit, dass der für ein Drittentgelt erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Lieferung der Arzneimittel und dem Herstellerrabatt durch § 130a SGB V hergestellt wird. Der Anspruch der Versandapotheken entstehe nur aufgrund und in Höhe des Herstellerrabatts, den die Apotheke einer Krankenkasse bei Abgabe von Arzneimitteln zu gewähren hat, sodass die Zahlung des Herstellerrabatts direkt von der Lieferung der Arzneimittel an die Klägerin abhängt.
3. Bestätigt sieht sich der BFH dabei durch das EuGH-Urteil Elida Gibbs Ltd. vom 24.10.1996, C–317/94 (EU:C:1996:400, BStBl II 2004, 324) zur Entgeltminderung in Lieferketten.
Denn in seiner Folgerechtsprechung hierzu hat der EuGH entschieden, dass die Besteuerungsgrundlage des Einzelhändlers (hier C) für den Verkauf an den Endverbraucher (hier D) dem gesamten Einzelhandelspreis und damit dem vom Endverbraucher gezahlten Betrag zuzüglich des vom Hersteller (hier A) an den Einzelhändler erstatteten Betrages entspricht (EuGH-Urteile Kommission/Deutschland, EU:C:2002:581, BStBl II 2004, 328, Rz. 59, und Yorkshire Co–operatives vom 16.1.2003, C–398/99, EU:C:2003:20, BStBl II 2004, 335, Rz. 21).
Zudem befürchtet der BFH eine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes, wenn trotz der Entgeltminderung beim rabattgewährenden Unternehmer (A) für seine Lieferung an den Großhändler (B) und seine Zahlung an die Versandapotheke als Einzelhändler (C) der Herstellerrabatt nicht in die Bemessungsgrundlage der Steuer auf den Umsatz des Einzelhändlers an den Endverbraucher (D) einbezogen wird.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.12.2020 – V R 34/18