Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahme eines unterbrochenen gerichtlichen Verfahrens. Insolvenz. Unterbrechung. Wiederaufnahme. Unterbrechung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Verbot der Fortsetzung der Geschäfte mit Finanzdienstleistungen durch Anordnungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Finanzdienstleistungsaufsicht
Leitsatz (amtlich)
Anordnungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit dem Verbot, Geschäfte mit Finanzdienstleistungen fortzusetzen und die vereinnahmten Gelder an die Vertragspartner zurückzuzahlen, betreffen im Fall der im Verwaltungsstreitverfahren eingetretenen Insolvenz des Adressaten die Insolvenzmasse, so dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 240 ZPO zur Unterbrechung des Verfahrens führt.
Die Besonderheiten der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage gegen einen Bescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit verschiedenen Verwaltungsakten führen zu einem Verfahren, das aus aktiv- wie passivrechtlichen Elementen besteht, so dass im Einzelfall eine Bestimmung erforderlich wird, welchem Teil des Prozessgegenstandes das größere Gewicht zukommt.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann im Fall eines Passivprozesses die Erklärung der Wiederaufnahme nicht auf eine direkte oder analoge Anwendung des § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO stützen.
Normenkette
InsO §§ 35, 55, 85-86; ZPO § 240; VwGO § 173 S. 1; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird abgelehnt. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der früheren Klägerin durch Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 16. Dezember 2011 seit diesem Zeitpunkt gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist.
Tatbestand
I.
Die XY Aktiengesellschaft (im Weiteren: XY AG) betrieb den „Ankauf” von privaten Lebensversicherungen unter Vereinbarung einer Stundung des „Kaufpreises”. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sah dieses Geschäftsmodell der XY AG als verbotenes Einlagengeschäft an und verfügte am 6. August 2010 die sofortige Einstellung der Geschäfte und die unverzügliche Abwicklung durch Auszahlung der Gelder an die jeweiligen Vertragspartner. Nach überwiegend erfolglosem Vorverfahren erhob die XY AG am 3. März 2010 Klage. Mit Urteil vom 11. Juli 2011 (Az. 9 K 646/11.F) wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Klägerin habe mit den geschlossenen Verträgen zur Nichtauszahlung ein Einlagengeschäft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2. Alt. KWG ohne die nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG hierfür notwendige Erlaubnis betrieben. Deshalb seien die auf § 37 Abs. 1 KWG ergangenen Anordnungen der Beklagten rechtmäßig. Am 29. August 2011 legte die XY AG die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ein. Mit Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 16. Dezember 2011 wurde jedoch das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XY AG eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger setzte das Gericht mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 über den Sachverhalt in Kenntnis. Die Beklagte erhielt am 3. Januar 2012 Gelegenheit zur Stellungnahme, woraufhin sie am 27. Februar 2012 die Wiederaufnahme des Verfahrens erklärte. Der Kläger widersprach der Wiederaufnahme mit Schriftsatz vom 30. März 2012 und erklärte – nach weiteren Hinweisen des Gerichts – nochmals mit Schriftsatz vom 14. Juni 2012, das unterbrochene Verfahren beziehe sich auf einen Klagegegenstand, der nicht zu einer Anreicherung der Haftungsmasse führen könne, so dass kein Aktivprozess, sondern ein Passivprozess vorliege. Daher könne die Beklagte nur nach § 86 InsO die Aufnahme erklären, jedoch seien die Voraussetzungen der Vorschrift nicht gegeben.
Entscheidungsgründe
II.
1.
Über die Wirksamkeit der von Seiten der Beklagten erklärten Wiederaufnahme ist im Wege einer förmlichen Zwischenentscheidung durch Beschluss zu entscheiden (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 21. November 2005 – 6 TG 1992/05 –, ESVGH 56, 187). Es finden gemäß § 173 Satz 1 VwGO die Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung, soweit nicht Besonderheiten des Verwaltungsprozesses der Anwendung entgegenstehen.
2.
Es ist zunächst festzustellen, dass das Berufungsverfahren nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist, da durch den Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der XY AG – Insolvenzschuldnerin – eröffnet wurde und der Gegenstand dieses Verfahrens insgesamt die Insolvenzmasse betrifft. Ein anhängiges Verfahren betrifft die Insolvenzmasse (§ 35 InsO), wenn es zu ihr in rechtlicher oder wenigstens wirtschaftlicher Beziehung steht. Das im Verfahren für oder gegen den Insolvenzschuldner geltend gemachte Recht muss gan...