rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung einer Zollschuld im insolvenzrechtlichen Sinn durch Überführung in den freien Verkehr
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Zollschuld im insolvenzrechtlichen Sinne, als Vermögensanspruch des Fiskus, ist erst dann begründet, wenn die für die Überführung der Ware in den zollrechtlich freien Verkehr erforderlichen Förmlichkeiten erfüllt sind, insbesondere die Zollanmeldung abgegeben ist.
- Ein Rechtsgrund für die Zollschuld wird nicht durch die Abgabe einer Zollanmeldung zu einem anderen Zollverfahren als der Überführung in den freien Verkehr oder die vorübergehende Verwendung unter nur teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben gelegt.
- Kommt es zollrechtlich zur vollständigen Sachverhaltsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich bei der Zollschuld um eine Insolvenzforderung; erfolgt die vollständige Verwirklichung des Sachverhalts dagegen erst nach der Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor.
Normenkette
ZK Art. 201 Abs. 1; InsO §§ 38, 55 Abs. 1 Nr. 1
Streitjahr(e)
2010
Nachgehend
Tatbestand
Der Antragsteller (Ast.), der Insolvenzverwalter über das Vermögen Fa. X- GmbH ist, begehrt die Aufhebung der Vollziehung eines Bescheids, mit dem nach Ablauf der Frist zur Beendigung von aktiven Veredelungen ohne Zollanmeldung entstandene Einfuhrabgaben erhoben wurden.
Mit Bescheid vom 02.02.2010 erhob der Antragsgegner (Ag.) die Einfuhrabgaben und Ausgleichszinsen für Waren, die die Schuldnerin im IV. Quartal 2008 in die aktive Veredelung hatte überführen lassen. In sämtlichen, diesen Überführungen zugrunde liegenden Bewilligungen war die Überführung der Hauptveredelungserzeugnisse und etwaiger unveredelt gebliebener Waren in den freien Verkehr ohne Zollanmeldung global zugelassen. Als Frist für die Beendigung der aktiven Veredelung war jeweils der letzte Tag des auf die Überführung der Einfuhrwaren in die aktive Veredelung folgenden 4. Kalendervierteljahres bestimmt. Für die im IV. Quartal 2008 in die aktive Veredelung übergeführten Waren endete diese Frist daher mit Ablauf des 31.12.2009.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 01.12.2009 eröffnet.
Für die Veredelungswaren wurden keine Zollanmeldungen zur Überführung in ein anderes Zollverfahren oder für den Erhalt einer anderen zollrechtlichen Bestimmung abgegeben. Im Auftrag und in Vertretung der Schuldnerin gab vielmehr eine Fa. Y- GmbH am 02.02.2010 die in den Bewilligungen für diesen Fall vorgesehene „Abrechnung und Selbstberechnung bei aktiver Veredelung” mit dem jeweiligen „Zusatzblatt Abgabenberechnung” ab. Die Einfuhrabgaben und Ausgleichszinsen wurden daraufhin von dem Ag. noch am selben Tag – ohne jede Abweichung von den Selbstberechnungen – buchmäßig erfasst und mit Bescheid festgesetzt.
Über den hiergegen eingelegten Einspruch des Ast., der zur Begründung zunächst nur ausführte, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Ansprüche könnten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr mit Bescheid festgesetzt werden, hat der Ag. noch nicht entschieden.
Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Abgabenbescheids vom 02.02.2010 lehnte der Ag. am 18.02.2010 mit der Begründung ab, der Ast. befände sich hinsichtlich des Zeitpunkts, in dem die Forderung begründet worden sei, „offenbar in einem Irrtum”.
Auch nach ergänzender Begründung des Einspruchs hielt der Ag. an seiner Auffassung fest (Schreiben vom 15.03.2010), es handele sich bei den Abgabenschulden um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO).
Daraufhin stellte der Ast. am 23.03.2010 beim Gericht einen Antrag auf AdV ohne Sicherheitsleistung. Er ist der Auffassung, bei den mit dem angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid festgesetzten Abgabenforderungen handele es sich um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Maßgeblich für die Abgrenzung von Insolvenz- von Masseforderungen sei, wann der die Einfuhrabgabenschuld begründende zollrechtliche Sachverhalt vollständig verwirklicht worden und abgeschlossen sei. Das sei bei zur Wiederausfuhr bestimmten Veredelungserzeugnissen bereits mit der Überführung in die aktive Veredelung der Fall. Das werde durch Art. 121 Abs. 1 ZK bestätigt. Da der Bewilligungsinhaber mit der Zollanmeldung zur Überführung in die aktive Veredelung seine Absicht bekunde, die Waren nach Durchführung der Veredelung wieder auszuführen, sei der Rechtsgrund für die Entstehung der Einfuhrabgabenschuld bereits mit der Überführung in die aktive Veredelung gelegt.
An dieser Auffassung hielt der Ast. auch nach dem richterlichen Hinweis, die zur aktiven Veredelung abgefertigten Nichtgemeinschaftswaren hätten bis zum 31.12.2009 wieder ausgeführt oder jeder anderen zulässigen zollrechtlichen Bestimmung zugeführt werden können, und zwar auch in dem Zustand, in dem sie zu diesem Verfahren ...