Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbedürfnis bei Gewährung von Aussetzung der Vollziehung unter Widerrufsvorbehalt
Leitsatz (redaktionell)
- Nach einem gerichtlichen Aussetzungsantrag erledigt sich das Rechtsschutzbedürfnis nicht durch eine vom Finanzamt verfügte Aussetzung der Vollziehung „unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs”.
- Wird der gerichtliche Aussetzungsantrag im Zeitraum zwischen Bescheiderteilung und Einspruchsentscheidung gestellt, liegt die Dauer der Aussetzung der Vollziehung im Ermessen des Gerichts, wobei maßgeblich darauf abzustellen ist, wann sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes beheben lassen.
- Beruhen die ernstlichen Zweifel auf ungeklärten tatsächlichen Umständen kommt eine Aussetzung der Vollziehung regelmäßig nur bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung in Betracht während bei nicht absehbarer Klärung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie bei auf rechtlichen Erwägungen beruhenden ernstliche Zweifeln eine Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich über das Einspruchsverfahren hinaus zu gewähren ist.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3
Streitjahr(e)
1999
Tatbestand
Mit Haftungsbescheid vom 22.9.2000 hat der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) den Antragsteller als ehemaligen Mitgeschäftsführer der Firma T wegen Umsatzsteuerschulden in Höhe von … DM in Anspruch genommen. Dem liegt die Auffassung des FA zu Grunde, bei Lieferungen von Mobiltelefonen nach England handele es sich nicht um steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen, weil es sich bei dem englischen Empfänger um eine Scheinfirma handele. Der Haftungsbescheid enthält zur Begründung neben der Angabe der Rechtsgrundlage (§§ 34 und 75 Abgabenordnung -AO-) lediglich die beiden Sätze, dass die OHG inzwischen in eine GmbH umgewandelt worden sei und der Antragsteller zusammen mit dem anderen Mitgeschäftsführer G in Anspruch genommen werde. Ausführungen zur Begründung der streitigen Steuerschulden der OHG oder Ermessenserwägungen enthält der Haftungsbescheid nicht.
Nachdem der Senat wegen ernstlicher tatsächlicher und rechtlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerbescheide die Vollziehung der u.a. dem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Juni 1999 in Höhe von … DM und Juli 1999 in Höhe von … DM ausgesetzt hat (Beschluss vom 5.1.2001 6 V 4543/00), kam es zu einem weiteren Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des gegen den Mitgeschäftsführer G erlassenen Haftungsbescheides, weil das FA der Rechtsauffassung war, nach gerichtlicher Aussetzung eines Steuerbescheides sei die Aussetzung eines Haftungsbescheides entbehrlich. Nachdem der Senat die Vollziehung dieses Haftungsbescheides bis einen Monat nach Zustellung eines Urteil in einem eventuellen Hauptsacheverfahren ausgesetzt hatte (Beschluss vom 26.4.2001 6 V 515/01), erging im vorliegenden Verfahren am 10.5.2001 eine Aussetzungsverfügung in der antragsgemäßen Höhe von … DM, die in zweifacher Weise gegenüber dem Antrag des Klägers eingeschränkt war: Zum einen erfolgte die Aussetzung nur unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufes, zum anderen war die Aussetzung bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung und nicht bis zum Anschluss eines eventuellen gerichtlichen Verfahrens befristet.
Der Antragsteller verweigert die Abgabe der Erledigungserklärung wegen der genannten Einschränkungen. Er habe Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung ohne Widerrufsvorbehalt und zeitlich bis einen Monat nach Ergehen einer eventuellen gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache. Ansonsten sei er gezwungen, nach Ergehen der Einspruchsentscheidung erneut gerichtliche Aussetzung der Vollziehung zu beantragen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 22.09.2000 hinsichtlich der Haftung für die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Juni und Juli 1999 in Höhe von zusammen … DM auszusetzen und die Verwirkung von Säumniszuschlägen aufzuheben.
Das FA beantragt sinngemäß,
den Antrag als unzulässig abzuweisen
Durch die während des gerichtlichen Verfahrens ergangene Aussetzungsverfügung sei der Rechtsstreit erledigt worden. Aus dem Bundesfinanzhof(BFH)-Beschluss vom 12.5.2000 VI B 266/98 (Bundessteuerblatt -BStBl- II 2000, 536) ergebe sich, dass die Aussetzung unter Widerrufsvorbehalt nicht als Teilablehnung anzusehen sei.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist nicht erledigt, weil das FA während des gerichtlichen Verfahrens die streitige Haftungsschuld nur unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs und nur bis zur Einspruchsentscheidung ausgesetzt hat.
1. Wie der BFH bereits mehrfach entschieden hat, besitzt der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung, die nicht durch eine jederzeitige Widerrufsmöglichkeit beschränkt ist (BFH-Beschlüsse vom 10.3.1970 II S 39/68, BStBl II 1970; vom 7.10.1991 XI B 37, 40-43/91, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entsch...