Entscheidungsstichwort (Thema)
Befähigung zum Selbstunterhalt eines schwerbehinderten Kindes
Leitsatz (redaktionell)
- Ist im Schwerbehindertenausweis oder im Feststellungsbescheid das Merkmal „H” (hilflos) eingetragen oder beträgt der Grad der Behinderung 50% oder mehr und treten besondere Umstände hinzu, auf Grund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint, besteht die tatsächliche Vermutung, dass die Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zum Bestreiten des Unterhalts ursächlich ist..
- Der Umstand, dass das Kind Arbeitslosenhilfe bezieht und somit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, vermag die tatsächliche Vermutung der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt nicht zu widerlegen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Nr. 3
Streitjahr(e)
1996
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein über 18 Jahre altes schwerbehindertes Kind, welches Arbeitslosenhilfe bezieht, in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten.
Der am xx.10.1969 geborene M ist zu 100 v. H. schwerbehindert. Im Schwerbehindertenausweis sind die Merkzeichen „G”, „aG” und „RF” eingetragen. Zusätzlich ist vermerkt, dass die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung nachgewiesen ist ( Merkzeichen „B”). M absolvierte im Rahmen einer staatlich geförderten Berufsausbildungsmaßnahme in einem Jugendheim des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen eine zweijährige Ausbildung zum „Büropraktiker”. Nach dem Abschluss der Ausbildung im August 1994 wurde er beim Arbeitsamt als Arbeitssuchender geführt und bezog seit Januar 1996 Arbeitslosenhilfe. Eine Arbeit fand er nicht. Inzwischen erhält er eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
Der inzwischen (am xx.07.1997) verstorbene Vater von M beantragte am 24.07.1996 bei der zuständigen Familienkasse (dem Beklagten) Kindergeld für seinen Sohn M ab Januar 1996. Er fügte seinem Antrag eine Haushaltsbescheinigung, einen Vordruck betreffend die Berücksichtigung behinderter Kinder nach Vollendung des 18. Lebensjahres, eine Ablichtung eines Schwerbehindertenausweises seines Sohnes vom 15.02.1982 und eines Bescheides über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe bei.
Mit Bescheid vom 26.08.1996 lehnte der Beklagte den Antrag des Verstorbenen ab. Zur Begründung führte er im Bescheid aus, ein Anspruch auf Kindergeld für behinderte Kinder bestehe gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) nur dann, wenn das Kind aufgrund der Behinderung nicht der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. M beziehe laufend Arbeitslosenhilfe und stehe demzufolge dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Es sei daher davon auszugehen, dass M in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der Verstorbene reichte nach Erhalt des Bescheides beim Beklagten einen Vordruck über einen Antrag auf Kindergeld für ein über 18 Jahre altes Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz ein. Darin gab er an, dass sein Sohn sowohl bei der Berufsberatung als auch bei der Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes gemeldet sei. Der Beklagte lehnte mit einem weiteren Bescheid vom 05.09.1996 den Antrag des Verstorbenen auf Kindergeld nochmals ab. Zur Begründung führte er in diesen Bescheid aus, das Kind werde bei der Berufsberatung nicht als Bewerber geführt. Zusätzlich vermerkte er, dass der Ablehnungsbescheid vom 26.08.1996 weiterhin bestehen bleibe.
Gegen die Bescheide vom 26.08.1996 und vom 05.09.1996 legte der Verstorbene innerhalb der Rechtsmittelfrist Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, ihm sei bei einer telefonischen Rücksprache mit dem Beklagten erklärt worden, dass ihm rückwirkend ab Januar 1996 Kindergeld gezahlt werde. Da sein Sohn im Oktober 1996 das 27. Lebensjahr vollende, müsse er für den Zeitraum ab November 1996 einen neuen Antrag stellen. Gleichzeitig habe man ihm nochmals einen Fragebogen übersandt, welchen er ausgefüllt wieder zurückgeschickt habe.
Im November 1996 beantragte der Verstorbene erneut Kindergeld für seinen Sohn, weil dieser am 23.10.1996 das 27. Lebensjahr vollendet habe und schwerbehindert sei. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28.11.1996 ab. Zur Begründung führte er aus, M beziehe laufend Arbeitslosenhilfe und stehe somit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Es sei daher davon auszugehen, dass er in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Ein Anspruch nach § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG bestehe somit nicht.
Gegen diesen Bescheid erhob der Verstorbene ebenfalls Einspruch.
Der Beklagte wies mit Einspruchsentscheidung vom 06.12.1996 den Einspruch des Verstorbenen gegen den Bescheid vom 05.09.1996 und mit weiterer Einspruchsentscheidung vom 09.01.1997 den Einspruch des Verstorbenen gegen den Bescheid vom 28.11.1996 zurück.
Gegen die Einspruchsentscheidung vom 06.12.1996 erhob der Verstorbene mit Schreiben vom 06.01.1997 Klage. Er trug vor, sein Sohn M habe in einem Jugendheim des Landeswohlfahrtsverbandes eine Ausbildung zum Büropraktiker gemacht. Eine berufliche Tätigkeit habe er aber später nicht aufnehmen können. Er sei daher nicht in...