Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das Vorliegen eines Wohnsitzes i.S.d. § 8 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Ein Wohnsitz liegt vor, wenn die Räumlichkeiten nach objektiven Kriterien zum dauerhaften Wohnen geeignet und bestimmt sind. Auf die subjektive Einschätzung des Stpfl., der die Räumlichkeiten lediglich als Schlafstätte und Hotelersatz ansieht, kommt es nicht an.
- Eine sog. „Standby-Wohnung, die objektiv zum Wohnen geeignet ist, ist auch dann als Wohnsitz anzusehen, wenn sie durchschnittlich nur 2-3 mal monatlich für beruflich veranlasste Übernachtungen genutzt wird.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 1, § 39d; AO § 8
Streitjahr(e)
2005, 2006
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin im Streitzeitraum in Deutschland einen Wohnsitz hatte und damit unbeschränkt steuerpflichtig war. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin ist seit … 2002 Flugbegleiterin bei …( Fluglinie ) mit Einsatzflughafen A ( im Bundesgebiet ). Bis zum 31.05.2004 wohnte die Klägerin in einer angemieteten 1-Zimmer-Wohnung in B ( im Bundesgebiet ). Zum 01.06.2004 zog sie zu ihrem damaligen Verlobten und jetzigen Ehemann, Herrn O, nach … (europ. Ausland ). Dieser ist gleichfalls bei der … als … beschäftigt, sein Einsatzflughafen ist ebenfalls A.
Ab dem 01.08.2004 mietete die Klägerin gemeinsam mit Herrn O eine Wohnung in der …-Straße … in C ( im Bundesgebiet ) an. Dabei handelt es sich um eine 1,5-Zimmerwohnung mit Küche und Bad und einem 1,20 m breiten Bett; die Wohnfläche beträgt 26m² beträgt. Die Wohnung wird von der Klägerin und ihrem Ehemann als so genannte „Standby-Wohnung” genutzt. Aufgrund dienstlicher Vorschriften verlangt die … ( Fluglinie ) von ihren Besatzungsmitgliedern, den Flugdienst pünktlich und ausgeruht anzutreten. Zu diesem Zweck müssen die Besatzungsmitglieder im Einzugsbereich ihrer Einsatzorte, das heißt in einer maximalen Entfernung von 50 km zum Flughafen, über eine Unterkunft verfügen, wobei hierfür auch ein Hotel ausreichen würde. Um einerseits den dienstlichen Anforderungen zu genügen und andererseits Hotelkosten zu vermeiden, teilte sich die Klägerin die oben genannte Wohnung mit ihrem damaligen Verlobten.
In den Streitjahren verbrachte die Klägerin im Schnitt zwei bis drei Nächte im Monat in der Wohnung; meistens alleine, teilweise aber auch zusammen mit Herrn O, wenn es dessen dienstliche Belange erforderten. Außer zum Zweck der gelegentlichen Übernachtung vor bzw. nach dem Dienst, während des Bereitschaftsdienstes und bei mehrtägigen Schulungen, wurde die Wohnung von den Mietern nicht genutzt. Ihre freie Zeit verbrachte die Klägerin an ihrem Familienwohnsitz in … (europ. Ausland ). Alle 6-8 Wochen besucht sie ihre Eltern in Deutschland.
Die Klägerin erhielt auf ihren Antrag für die Jahre 2005 und 2006 vom Finanzamt … in … – Lohnsteuerarbeitgeberstelle – Bescheinigungen für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß § 39 d Einkommensteuergesetz (EStG). Die … ( Fluglinie ) behandelte sie in der Konsequenz als beschränkt steuerpflichtig; es wurde nur der so genannte Inlandsanteil ihres Lohns der Besteuerung in Deutschland unterworfen.
In der Folgezeit führte die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts … gegen die Klägerin Ermittlungen durch. In ihrem Bericht vom ...12.2007 kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit der „Standby-Wohnung” einen Wohnsitz gemäß § 8 Abgabenordnung (AO) begründet habe und daher in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei.
Die im Bericht getroffenen Feststellungen machte sich der Beklagte (das Finanzamt) zu Eigen und erließ am ...12.2007 Nachforderungsbescheide hinsichtlich Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für die Jahre 2005 und 2006. Gegen die Bescheide legte die Klägerin mit Schreiben vom ...12.2007 Einspruch ein.
Nachdem die Klägerin im Einspruchsverfahren weitere Werbungskosten und Sonderausgaben geltend gemacht hatte, half das Finanzamt dem Einspruch durch Änderungsbescheid vom ...09.2008 insoweit teilweise ab. Der Änderungsbescheid wurde Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Mit Bescheid vom ...03.2009 wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück. Dagegen hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am ...04.2009 vor dem Hessischen Finanzgericht Klage erhoben.
Die Klägerin ist der Auffassung, durch die Nutzung der „Standby-Wohnung” habe sie keinen Wohnsitz in Deutschland begründet. Es handele sich lediglich um eine neben dem im Ausland belegenen Familienwohnsitz bestehende Schlafstelle im Inland. Es sei bereits keine „Wohnung” im Sinne von § 8 AO gegeben, da die Zimmer nur zum Zweck der gelegentlichen Übernachtungen vor bzw. nach dem Dienst oder während des Bereitschaftsdienstes genutzt worden seien, der Aufenthalt damit ausschließlich beruflich veranlasst und bereits das semantisch vom Begriff der Wohnung vorausgesetzte Elemente des Wohnens nicht gegeben sei. Dies werde auch daran deutlich, dass die Klägerin kaum persönliche Gegenstände in der Wohnung ...