Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld bei vorläufiger Unterbringung
Leitsatz (redaktionell)
- Der Anspruch auf Kindergeld für volljährige Kinder ist für Zeiten der Unterbringung nach § 63 StGB ausgeschossen.
- Dies gilt auch für den Zeitraum, in dem nach § 67h StGB die zuvor mit Führungsaufsicht zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung befristet wieder in Vollzug gesetzt war.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; StGB §§ 63, 67h
Streitjahr(e)
2021
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum einer Maßnahme nach § 67h StGB. Die am 18.11.1996 geborene Klägerin leidet i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG unstreitig unter einer vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eingetretenen seelischen Behinderung, die ihre Teilnahme am allgemeinen Erwerbsleben dem Grunde nach unmöglich macht. Zuletzt wurde ein sozialversicherungsrechtlicher Grad der Behinderung von 70% festgestellt (vgl. den Widerspruchsbescheid auf Seite 354 ff. der Kindergeldakte). Zwischen den Beteiligten ist im vorliegenden Verfahren zum Schluss der mündlichen Verhandlung lediglich noch die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit der Klägerin zum Selbstunterhalt im Zeitraum September 2021 bis Dezember 2021 streitig.
Durch Urteil das Landgerichts C vom 25.06.2013 wurde die Klägerin wegen verschiedener Gewaltdelikte und anderer Straftaten schuldig gesprochen. Zugleich ordnete das Gericht nach § 63 StGB die zwangsweise Unterbringung der Klägerin an, die ab dem 20.07.2013 vollzogen und mit Wirkung vom 28.01.2019 zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seitdem steht die Klägerin unter Führungsaufsicht. Infolge einer Wiederverschlimmerung ihrer psychiatrischen Symptomatik, die sich auch in verschiedenen gewaltbezogenen Vorfällen während des Aufenthalts außerhalb stationärer psychiatrischer Einrichtungen zeigte, ordnete das zuständige Amtsgericht D für die Zeit vom 13.12.2019 bis zum 22.06.2020 und nochmals für die Zeit vom 26.08.2021 bis zum 26.01.2022 die befristete Wiederinvollzugsetzung der ausgesetzten Unterbringung auf der Grundlage des § 67h StGB an. In der Zwischenzeit (d.h. von Ende Juni 2020 bis Ende August 2020) bewohnte die Klägerin ein eigenes Apartment in einer besonders betreuten Wohneinrichtung, in der und aus der sie sich frei bewegen konnte. Wegen der Einzelheiten der vorausgegangenen Umstände und der Gründe für die Wiederinvollzugsetzung nach § 67h StGB betreffend die Zeit vom 26.08.2021 bis zum 22.01.2022 wird auf die Beschlüsse des Amtsgerichts D vom 26.08.2021 (Bl. 99 ff. der Klageakte) und vom 24.11.2021 (Bl. 110 ff. der Klageakte) sowie auf die weiteren aktenkundigen Unterlagen (insbesondere Stellungnahmen der beteiligten Einrichtungen / Kliniken) verwiesen.
Nach dem die Beklagte den Schriftverkehr bezüglich vergangener Kindergeldfestsetzungen und deren Aufhebung zuvor ausschließlich mit der unstreitig anspruchsberechtigten Mutter Frau M (im Folgenden: ,M.') geführt hatte (aktenkundig ab Seite 160 ff. der Kindergeldakte), wandte sich mit Schreiben vom 16.06.2020 die Bevollmächtigte als gerichtlich bestellte Betreuerin der Klägerin im Namen der Klägerin an die Beklagte, verwies auf einen bestehenden Kinder-geldanspruch und übersandte einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld nebst Anlagen mit Angaben zu M. und der Klägerin (Seite 216 ff. der Kindergeldakte). Durch Bescheide vom jeweils 17.11.2021 lehnte die Beklagte gegenüber M. die Festsetzung von Kindergeld betreffend die Klägerin ab Juni 2020 (Seite 471 der Kindergeldakte) und gegenüber der Klägerin (Seite 475 der Kindergeldakte) die Abzweigung des Kindergeldes ab Juni 2010 ab, wobei sie in beiden Fällen auf den nicht bestehenden Kindergeldanspruch verwies.
Hiergegen erhob die Bevollmächtigte im Namen der Klägerin am 15.12.2021 Einspruch (Seite 480 der Kindergeldakte). Es folgte weiterer Schriftverkehr mit der Bevollmächtigten. Am 15.03.2022 erließ die Beklagte eine an die Bevollmächtigte adressierte Einspruchsentscheidung, mit der sie den Einspruch gegen die „Ablehnung des Antrags auf Kindergeld (…)” gegenüber M. (als Inhaltsadressatin) als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass sich aus den bisher vorgelegten Unterlagen eine durchgehende zwangsweise Unterbringung der Klägerin ab Juni 2020 ergebe. Insoweit sie die Klägerin in diesem Zeitraum nicht wegen ihrer Behinderung, sondern wegen der zwangsweisen Unterbringung zum Selbstunterhalt außerstande gewesen, was zum Ausschluss des Tatbestandes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG führe.
Hiergegen richtet sich die durch die Bevollmächtigte im Namen der Klägerin am 31.03.2022 erhobene Klage, mit der die Klägerin sinngemäß die Festsetzung und Abzweigung des Kindergeldes für den Zeitraum Juni 2020 bis Dezember 2021 begehrt (Verfahren 6 K 351/22). Infolge einer am 14.09.2022 abgegebenen Verpflichtungserklärung der Beklagten zur Abhilfe des Klagebegehrens für den Zeitraum Juni 2020 bis August 2021 und der entsprechenden übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Betei...