rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung bei der Festsetzung vom Verzögerungsgeld
Leitsatz (redaktionell)
- Die Festsetzung vom Verzögerungsgeld erfordert neben den zwingenden tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO eine zweifache Ermessensentscheidung der Behörde über das ob (sog. Entschließungsermessen) und die Höhe des Verzögerungsgelds.
- Die Finanzbehörde ist es unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verwehrt, im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens von einer Vorprägung in dem Sinne auszugehen, dass jede Verletzung der Mitwirkungspflichten i.S.d. § 200 Abs. 1 AO - unabhängig davon, ob den Steuerpflichtigen ein Schuldvorwurf trifft oder nicht - grundsätzlich zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes führen muss.
Normenkette
AO § 146 Abs. 2b
Streitjahr(e)
2013
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes. Die Klägerin ist eine durch Gesellschaftsvertrag vom 01.02.2001 gegründete und unter HRB im Handelsregister des Amtsgerichts Stadt A mit satzungsgemäßem Sitz in Stadt A eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die zur X Gruppe gehört und deren
Unternehmensgegenstand die Entwicklung und der Verkauf von industriellen Messsystemen ist. Alleinige Anteilseignerin ist seit 2007 die in Stadt B
ansässige X AG, die über weitere in- und ausländische Tochtergesellschaften verfügt und deren Finanzvorstand (CFO), Herr M, seit dem 01.10.2010 als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der
Klägerin bestellt ist. Darüber hinaus ist seit Gründung Herr H als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Die Grundaufzeichnungen und die laufende Buchführung der Klägerin werden von Angestellten der X AG erstellt, wobei als elektronisches Hilfsmittel bis zum 31.03.2009 das System DATEV (durch den steuerlichen Berater) und ab dem 01.04.2009 das System Axapta 3.0 (durch die Angestellten der X AG selbst) zum Einsatz kam. Für 2008 wurden der Jahresabschluss und die Steuererklärungen durch die Steuerberatung A mit Sitz in Stadt A erstellt. Für 2009 wurden der Jahresabschluss durch Angestellte der X AG und die Steuererklärungen durch die Steuerberatung B mit Sitz in Stdadt C verfasst. Auf die diesbezüglichen Erläuterungen der Klägerin in einem allgemeinen Fragebogen vom 28.06.2012 und die Ausführungen zu den Textziffern 1 bis 12 des Betriebsprüfungsberichts vom 02.07.2013 wird verwiesen. Die von der Klägerin gesetzlich aufzubewahrenden Unterlagen wurden für 2008 und 2009 in einem Depot in Stdadt D verwahrt. Mit Wirkung vom 01.01.2010 wird die Klägerin nach der Klassifizierung der Finanzverwaltung als sog. M-Betrieb eingestuft.
Am 14.09.2011 rief der für die X AG (ein sog. G3-Betrieb) zuständige Beklagte (das Finanzamt, im Folgenden: ,FA') im Rahmen der ab ca. Januar 2012 beabsichtigten (Konzern-) Prüfung der X AG für die Jahre 2007 bis 2009 das ursprünglich für die Klägerin zuständige Finanzamt Stadt A-Mitte zur Prüfung auch der Klägerin im Prüfungsgeschäftsplan des Jahres 2012 auf. Im April 2012 gab das Finanzamt Stadt A-Mitte die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten anschließend jedoch an das FA ab, da sich bei einem Telefongespräch mit dem Geschäftsführer Herr M im Januar 2012 herausgestellt hatte, dass sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der Klägerin bereits seit 2008 in Stadt B befand und deshalb nach § 20 Abs. 1 AO ein Zuständigkeitswechsel eingetreten war. Durch Verwaltungsakt vom 01.06.2012 ordnet sodann das FA selbst bei der Klägerin eine steuerliche Außenprüfung der Jahre 2008 und 2009 an. Eine Verlegung der Prüfung wurde seitens der Klägerin nicht beantragt. Zuletzt war die Klägerin für die Jahre 2003 bis 2007 durch das Finanzamt Stadt A-Mitte geprüft worden.
Mit der Prüfung begann der vom FA bestellte Prüfer laut eines entsprechenden Aktenvermerks am 01.06.2012 um 08:00 Uhr, laut Prüfungsbericht vom 02.07.2013 dagegen erst am 06.06.2012 um 08:00 Uhr, in den Geschäftsräumen der X GmbH, wobei dem Prüfer eine CD mit dem Inhalt „XY 1(2008-2009)” und „XY 2 (2008-2009)” vom 27.05.2012 ausgehändigt wurde, die der Prüfer der Klägerin am 02.07.2012 wieder zurückgab. Am 06.06.2012 stellte der Prüfer die „Prüfungsanfrage Nr. 1”, in der er die Klägerin unter anderem aufforderte, einen „Datenträger mit den Buchhaltungsdaten für den Prüfungszeitraum 2008-2009 (Sachkontenbuchungen, Journale, Abschlussbuchungen, Debitoren, Kreditoren)” vorzulegen. Auf der Aktenausfertigung dieser Prüfungsanfrage befindet sich ein handschriftlicher Vermerk des Prüfers mit den
Worten „erl. 06.06.2012”, mit dem nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung gemeint gewesen sein soll, dass die Vorlage für 2008 von der Klägerin bereits am 06.06.2012 erledigt worden sei, für das Prüfungsjahr 2009 jedoch noch nicht. Wegen der verschiedenen Ersuchen in der Prüfungsanfrage Nr. 1 und wegen der Einzelheiten der dort vom Prüfer später handschriftlich aufgebrachten Erledigungsvermerke („erl.”) wird ...