Prof. Dr. Ronald Gleich, Prof. Dr. Heimo Losbichler
3.1 Am Anfang steht das Chaos: Wie man mit unbekannten Krisen umgeht
Die aktuelle COVID-19-Krise unserer europäischen Wirtschaft und auch der Weltwirtschaft ist für krisenerfahrene Manager und Controller Neuland und stellt sie damit vor bislang ungeahnte Herausforderungen. Seither bekannte Methoden und Analysen reichen nicht aus, diese Krise in ihrer Gesamtheit zu verstehen und gegen sie vorzugehen. Wir haben versucht Muster zu erarbeiten, die einem klassischen Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen bei der Krisenbewältigung helfen können. Dafür haben wir in einem ersten Schritt die Krise in potenzielle Phasen unterteilt und diese einzelnen Phasen dann charakterisiert.
Diese Muster sollen helfen Stabilität zu entwickeln und ein Anker- und Orientierungspunkt sein, denn Perspektivlosigkeit in einer Krise kann die bereits schwierigen Unternehmenssituationen schnell verschärfen. An dieser Stelle wollen wir ansetzen und Unternehmen grundlegende Hinweise zum Krisenmanagement und zum Umgang mit Krisen geben.
Wir haben uns dafür entschieden, fünf Phasen des Krisenmanagements zu unterscheiden (s. Abb. 3):
Abb. 3: Phasen des Krisenmanagements
- Die im Modell vorgelagerte Phase 0 fokussiert sich auf die Krisenerkennung und -vorsorge. Sie ist im Modell vor dem Eintritt der Krise skizziert, da wir davon ausgehen, dass krisenbeständige Unternehmen permanent eine Art Mechanismus zur Erkennung und Prävention von Krisen verfolgen.
- Phase 1 soll dem Überleben des Unternehmens nach einem nicht erwarteten, exogenen (Corona-)Schock dienen.
- Phase 2 dient der Stabilisierung des Unternehmens und des operativen Geschäfts auf Grundlage der neuen, i. d. R. radikal geänderten Rahmenbedingungen und äußeren Einflüsse.
- Phase 3 hat die in den meisten Fällen erforderliche Neuausrichtung der Geschäftsmodelle des Unternehmens zum Gegenstand. Das bedeutet, dass Unternehmen versuchen müssen, neue Chancen zu erkennen und zu nutzen. Idealerweise startet man diese Phase bereits parallel zur Phase 2.
- Phase 4 widmet sich dem eigentlichen Neustart des Unternehmens nach oder am Ende der Krisensituation. Auch hier wird es eine längere Startphase von mehreren Monaten geben, bis die Wertschöpfung des Unternehmens wie gewünscht funktioniert. Man kann davon ausgehen, dass die Aspekte der Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit einzelner Akteure im Markt äußerst wettbewerbsentscheidend sein dürften.
Die genannten Phasen in dieser Ausführlichkeit auszuformulieren mag sicherlich etwas spekulativ sein, aber aufbauend auf unserer Erfahrung mit anderen Krisen und der ausführlichen Analyse des Verlaufs der Corona-Krise, wollen wir diesen Versuch dennoch wagen. Damit möchten wir auch in Zeiten etwaiger Perspektivlosigkeit Möglichkeiten und Inspirationen geben, sich aus einer Krise herauszuarbeiten.
3.2 Phase 0: Krisenerkennung und -vorsorge
Wie eingangs beschrieben, haben wir uns dafür entschieden, eine Phase 0 dem eigentlichen Phasenmodell vorzulagern. Das ist dadurch zu begründen, dass zum Zeitpunkt des eigentlichen Kriseneintritts eine mögliche Prävention oder Vorsorge deutlich zu spät wäre. Das bedeutet, dass eine Krisenerkennung und -vorsorge keinen wirklichen Start- oder End-Zeitpunkt hat, sondern tendenziell ein kontinuierlicher Prozess ist. Man kann annehmen, dass sich Unternehmen außerhalb von Krisen stärker mit der Identifikation und Prävention von Krisen auseinander setzen, während diese Aktivitäten innerhalb einer aktiven Krise auf ein Minimum reduziert werden. Abb. 4 ordnet diesen vorgelagerten Prozess in die themenübergreifenden Grundlagen des Krisenmanagements ein. In der Abbildung werden ebenfalls alle Aktivitäten, die mit der Prävention und Identifikation von Krisen zusammenhängen als ein vorbereitender Prozess dargestellt, während die eigentlichen Aktivitäten zur Krisenbekämpfung und zum Krisenmanagement i. e. S. zugehörig sind. Unter dem Krisenmanagement i. w. S. werden alle Analysen und Learnings nach Beendigung der Krise aufgefasst.
Hauptgegenstand der Krisenerkennung und -vorsorge ist die Etablierung eines Krisenstabs bzw. Krisenteams. Die Mitglieder dieses Teams stammen idealerweise aus einem heterogenen Fachhintergrund, sollten indes alle ausgezeichnete analytische Fähigkeiten besitzen und durch das Top-Management ausgewählt und beschützt werden. Der Krisenstab wird mit Kompetenzen und Verantwortung ausgestattet, bspw. um eigenständig KPI- und Risiko-Analysen durchzuführen und ggf. Schwachstellen in Prozessen zu identifizieren und Gegenmaßnahmen vorzubereiten.
Abb. 4: Klassifikation des Krisenmanagements
3.3 Phase 1: Überleben sichern
In der ersten Phase der Krise fokussieren wir uns darauf das Überleben des Unternehmens zu gewährleisten. Die Krise ist noch relativ neu und viele Unternehmen erleben sogar ein "business as usual", d. h. es werden noch mit den Vorjahren oder der Planung einigermaßen in Einklang zu bringende Umsätze generiert. An den Auftragseingangsrückgängen wird die Krise allerdings deutlich. Es sollten erste Krisenprojektteams etabliert sein oder diese nun ins Auge gefasst werden. Dafür ist es zunächst unabdingbar, dass alle r...