Prof. Dr. Ronald Gleich, Prof. Dr. Heimo Losbichler
Nachdem wir nun vordringlich Theorie und Best Practices dargelegt haben, wollen wir nun unseren Fokus auf brandaktuelle Praxisbeispiele legen. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle daher unseren Partnern Kärcher, TRUMPF und Siemens, die uns einen Einblick in ihr Unternehmen gegeben haben. Auf den folgenden Seiten werden zunächst die einzelnen Unternehmen nochmals kurz vorgestellt, woraufhin dann die Unternehmen selbst erläutern, wie sie mit einzelnen Krisen umgegangen sind. Diese Ausführungen werden meist durch theoretische Frameworks, die die einzelnen Unternehmen verwenden, untermauert. Ziel soll es sein, sinnstiftende Erfahrungswerte an andere Unternehmen und Führungskräfte weiterzugeben, um auch wertvolle Krisenerfahrungen in die Präventions- und Maßnahmenplanung miteinzubeziehen.
6.1 Kärcher
In unserem ersten Praxisbeispiel wollen wir einen Blick auf die Firma Kärcher werfen. Es ist auffällig, dass das Unternehmen Krisen aus der Theorie formalisiert hat und v. a. strategischen und Erfolgskrisen eine besondere Stellung zukommen lässt. Letztlich wird der unternehmensinterne Budgetierungs- und Planungsprozess beleuchtet.
6.1.1 Hintergrund und Unternehmen
Die Alfred Kärcher SE & Co. KG erzielte im Jahr 2019 mit 2,578 Mrd. EUR den höchsten Umsatz in ihrer Geschichte. Das Familienunternehmen beschäftigt in 72 Ländern 13.500 Mitarbeiter in 127 Gesellschaften. Für eine lückenlose Versorgung der Kunden auf der ganzen Welt sorgen mehr als 50.000 Servicestellen in allen Ländern. Innovation ist für das Unternehmen der wichtigste Wachstumsfaktor und seit der Unternehmensgründung 1935 wesentlicher Bestandteil der Firmenkultur: Etwa 90 % aller Produkte sind höchstens fünf Jahre alt oder jünger. Insgesamt arbeiten bei dem Reinigungsgerätehersteller rund 1.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung. 150 neue Produkte hat Kärcher 2019 auf den Markt gebracht – so viele wie nie zuvor innerhalb eines Jahres.
6.1.2 Unterscheidung diverser Krisentypen
Maßgeblich zur effektiven Steuerung des Unternehmens ist die Beurteilung der aktuellen Situation und der Phase in welcher sich dieses befindet. Um sowohl gut auf Krisen vorbereitet zu sein als auch die richtigen Steuerungsimpulse zu generieren unterscheidet das Controlling bei Kärcher deshalb in Krisenvermeidung und drei Krisentypen, nämlich strategische Krise, Erfolgskrise sowie Liquiditätskrise (s. Abb. 15). In welcher Phase sich das Unternehmen befindet, wird über vordefinierte und zu Kärcher passende KPIs gemessen, beurteilt und einige bereits festgelegte Analysen und Handlungsoptionen durchgeführt. Der Handlungsdruck nimmt dabei in Richtung der Liquiditätskrise zu, während die Optionen abnehmen.
Abb. 15: Krisentypen
Die Krisenvermeidung ist Teil des normalen Geschäftsbetriebs, bei dem das Controlling die Geschäftsentwicklung transparent macht und auf Fehlentwicklungen frühzeitig hinweist. Als Messgrößen dienen steigende Umsätze von Jahr zu Jahr, ein konstanter Anteil der Aufwendungen (v. a. F&E und Marketing) im Vergleich zum Umsatz und Investitionen, die aus dem laufenden Cashflow finanziert werden können. Es besteht nur geringer Handlungsdruck und der Spielraum der Handlungsoptionen bei Abweichung der relevanten KPIs ist hoch.
Der Beginn einer strategischen Krise lässt sich bei Kärcher anhand folgender Kennzahlen ablesen: einem sinkenden Marktanteil und einem Ergebnis unter Plan bzw. einer mehrjährigen negativen Abweichung zum Mittelfristplan. Dennoch können die Investitionen in dieser Phase immer noch aus dem laufenden Cash finanziert werden. Der Handlungsdruck steigt und das Controlling unterstützt die strategische Steuerung durch erhöhten Fokus des Controllings im operativen Geschäft, Benchmarking, Portfolio-Checks und strategische Analysen der Geschäftsfelder von Kärcher sowie durch das Etablieren eines Project Management Office zur Beurteilung und Priorisierung von Unternehmensprojekten.
Die Erfolgskrise definiert sich durch geringeren Umsatz und geringeres Ergebnis im Vergleich zum Vorjahr sowie einem negativen Cashflow, wobei die kurzfristige Liquidität noch gegeben ist. Das Controlling unterstützt durch Analysen zur Reduktion von kurzfristigen Kosten sowie im weiteren Verlauf durch die Herstellung von Transparenz im Bereich strukturell bedingter Kosten.
Die Liquiditätskrise ist der intensivste definierte Krisentypus. Hier ist die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens bedroht, die kurzfristige Liquidität ist gefährdet. Dabei ist wiederholt der Umsatz hinter dem Vorjahresumsatz zurückgeblieben und das Ergebnis negativ. Das Controlling unterstützt durch Analysen im Rahmen von Restrukturierungen und ein spezielles Task Force Team wird eingesetzt.
6.1.3 Strategische Krise und strategische Steuerung
In der strategischen Krise sind Impulse vom Controlling vor allem notwendig, um die Grundausrichtung des Unternehmens zu reflektieren. Die Analysen zielen deshalb sowohl auf strategische Elemente als auch die Ergebnisse der Geschäftsbereiche ab. Zur Messung werden Umsatz, Marktanteil und Ergebnis herangezogen. Die Fristigkeit ist in diesem Krisentyp eher mittel- bis...