Prof. Dr. Jörn Kohlhammer
3.1 Präattentive Wahrnehmung von Informationen
Mit den Augen denken
Eine gute Visualisierung erlaubt es uns Menschen, mit unseren Augen zu "denken". Wie wir im obigen Abschnitt gelernt haben, können wir sehr schnell einfache Details und gelernte Muster erkennen. Unbekannte oder kompliziertere Objekte wie Text müssen wir erst kognitiv erfassen, was deutlich länger dauert. Das Ziel der Visualisierung ist es also, dort, wo es möglich ist, die schnelle visuelle Erfassung hervorzurufen. Z. B. kann das langwierige Suchen in Text oder Zahlen durch ein visuelles Erkennen ersetzt werden. So kann das menschliche Auge sehr viel schneller feststellen, welche Säule in einem Säulendiagramm die höchste ist, als welche Zahl in einer Liste die größte ist. Das langsame, kognitive Lesen wird durch schnelles Erkennen ersetzt. Diesen Effekt, der auch präattentive Wahrnehmung genannt wird, kann man in vielfältiger Weise für verschiedene Datentypen und verschiedene Aufgaben nutzen.
3.2 Modell der Informationsvisualisierung
Das Spektrum der Möglichkeiten ist dabei so breit, dass man sich der Thematik am besten über ein Modell nähert. Es gibt verschiedene Modelle der Informationsvisualisierung, von denen das Modell von Card, Mackinlay und Shneiderman eindeutig am häufigsten verwendet wird. In Abb. 3 ist eine leicht angepasste Version dieses Modells zu sehen. Betrachten wir zuerst einmal die beiden Enden des Workflow, so sehen wir links die Rohdaten und rechts die Aufgabe des Anwenders. Die wesentlichen Eckpunkte jeder Visualisierung sind die Daten, die visualisiert werden sollen, und die Aufgabe, die unterstützt werden soll. Die Visualisierungen von Netzwerken und von Text, z. B., unterscheiden sich deutlich.
Abb. 3: Modell der Informationsvisualisierung
Datentransformation
Bewegen wir uns nun von links nach rechts durch das Modell, so ist der 1. Schritt die Transformation der Rohdaten in ein günstiges Format für die weitere Verarbeitung. Üblicherweise sind dies Datentabellen im relationalen Datenbankschema. Das Datenbankschema ist bereits eine wichtige Designentscheidung, denn dabei werden relevante Attribute der Rohdaten für die Visualisierung ausgewählt.
Visuelle Abbildung
Der 2. Schritte ist der zentrale Aspekt der Informationsvisualisierung: die Abbildung von Datentabellen auf visuelle Strukturen. Diese visuellen Abbildungen weisen dabei jedem Attribut der Datentabellen einen visuellen "Effekt" zu – sei es z. B. die Form oder die Farbe einer Form in der Visualisierung.
3.3 Strukturieren mit Glyphen
Tatsächlich können wir dabei die Möglichkeiten an visuellen Strukturen, die uns grundsätzlich zur Verfügung stehen, in einer einfachen, übersichtlichen Tabelle darstellen (s. Abb. 4). Ein Glyph bezeichnet ein grafisches Objekt, das mehrere der visuellen Eigenschaften besitzen kann, die in Abb. 4 dargestellt sind. Ein Glyph, z. B. ein Rechteck mit Größe und Farbe, repräsentiert dabei einen oder mehrere Datenattribute, wie wir gleich näher sehen werden.
Eigenschaften von Glyphen
Die 1. Eigenschaft von Glyphen ist die räumliche Position. Sie ist eigentlich eher eine indirekte Eigenschaft, aber die mächtigste in der Visualisierung. Menschen können sich die Position von Objekten sehr gut merken. Die Position erlaubt es auch, Gruppen von ähnlichen Objekten sehr schnell zu erkennen und zu unterscheiden. In einem Scatterplot oder einem Blasendiagramm wird diese Eigenschaft z. B. sehr gut ausgenutzt. Es kommt also darauf an, die 2 wichtigsten Attribute auszuwählen und sie für die beiden Achsen in der Visualisierung zu verwenden. Diese Attribute sollten jedoch quantitativ oder zumindest ordinal sein. Quantitative Attribute enthalten Daten wie Umsatz oder die Anzahl von Kunden, während ordinale Attribute geordnete Daten wie Ratings (AAA oder BB+) enthalten, auf denen jedoch keine mathematischen Berechnungen ausgeführt werden können. Nominale Attribute schließlich enthalten Daten, die wir nicht direkt ordnen können. Z. B. können wir Ländernamen wie Frankreich und Deutschland zwar alphabetisch ordnen, die Reihenfolge hat aber wahrscheinlich keine sinnvolle Bedeutung in der Anwendung. Für nominale Attribute bieten sich Form und Farbe an. So könnten alle Unternehmen im Diagramm z. B. als Kreise dargestellt werden.
Abb. 4: Grafische Eigenschaften von Glyphen
Ansichten (Views)
In Abb. 3 fehlt uns nun noch der letzte Schritt, in dem eventuell mehrere Visualisierungen in einer Ansicht kombiniert werden, mit der der Benutzer interagieren kann. Dies kann z. B. in Form eines Dashboards geschehen, in dem die Visualisierungen miteinander verbunden sind. Eine Auswahl bestimmter Daten in einer Visualisierung kann dann auch in den anderen Visualisierungen kenntlich gemacht werden. Dieses Konzept, das Brushing & Linking genannt wird, wird häufig für Visualisierungsansichten genutzt. Das Modell macht allerdings auch deutlich, dass der Benutzer auf allen Ebenen der Visualisierung interagieren kann: Zur Umgestaltung der Ansicht (z. B. des Dashboards), zur Anpassung...