Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Eine Lieferung an einen Scheinunternehmer kann nach § 6a Abs. 4 UStG steuerfrei sein, wenn der leistende Unternehmer bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte, dass der Käufer ein Scheinunternehmer ist.
Sachverhalt
Der Gebrauchtwagenhändler verkaufte im Rahmen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung ein Fahrzeug an einen Abnehmer aus Österreich, der mit seiner beim BZSt verifizierten USt-IdNr. auftrat. Das Fahrzeug wurde mit einem ungarischen Transporter abgeholt und eine Vollmacht zur Abholung vorgelegt.
Nach Feststellungen der österreichischen und deutschen Steuerbehörden handelte es sich bei dem Käufer um eine Scheinfirma, die über eine Scheinadresse bei einem österreichischen Treuhänder verfügte. Anrufe und Telefaxe wurden nach Deutschland umgeleitet, der Käufer war offensichtlich in Deutschland ansässig. Da es sich um einen Scheinunternehmer handelt, versagte die deutsche Finanzbehörde dem Lieferer die Steuerfreiheit als innergemeinschaftliche Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG. Unter anderem wurde von dem Finanzamt darauf hingewiesen, dass der Lieferer gegen seine Verpflichtungen als ordentlicher Kaufmann verstoßen habe, da er über einfache Internet-Recherche hätte feststellen können, dass es sich bei der angegebenen Anschrift in Österreich um die Anschrift des Treuhänders gehandelt hätte. Außerdem würde wegen formaler Mängel ein ordnungsgemäßer Verbringensnachweis nicht vorliegen. Das Fahrzeug sei tatsächlich vom Kläger an den aus Deutschland handelnden Erwerber verkauft worden und von diesem dann nach Ungarn verkauft worden. Im Rahmen eines Reihengeschäfts sei das Fahrzeug dann nach Ungarn gelangt. Da nach Auffassung der Finanzverwaltung die unbewegte (ruhende) Lieferung der ersten Lieferung zuzurechnen sei, könne eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nicht vorliegen. Außerdem sei die Rechnung nicht ordnungsgemäß, da eine fortlaufende Rechnungsnummer fehle und nur auf eine "steuerfreie innerbetriebliche Lieferung" hingewiesen sei. Der Kläger begehrt die Steuerfreiheit als innergemeinschaftliche Lieferung.
Entscheidung
Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Das Finanzgericht hat in einer mehrstufigen Prüfung im Ergebnis die Steuerfreiheit aufgrund eines Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG festgestellt.
Das Gericht ging von einem Reihengeschäft aus, da das Fahrzeug vom Lieferer an das Scheinunternehmen und dann an den Erwerber in Ungarn geliefert wurde. Dabei sei die erste Lieferung die "bewegte" Lieferung, die grundsätzlich als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 16.12.2010, C-430/09 - Euro Tyre Holding, BFH/NV 2011, S. 397) kommt es für die Zuordnung der bewegten Lieferung auf die ‚Verpflichtung’; und die ‚Absichtsbekundung’ an, den Gegenstand unter Verwendung einer nicht vom Liefermitgliedstaat erteilten USt-IdNr. in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern. Im Ergebnis hat danach der Ersterwerber im Fall des Weiterverkaufs die Möglichkeit, durch Mitteilung oder Verschweigen des Weiterverkaufs die Beförderung oder Versendung der Lieferung an sich oder seiner eigenen Lieferung zuzuordnen (BFH, Urteil v. 11.08.2011, V R 3/10, BFH/NV 2011, S. 2208).
Das Gericht ging davon aus, dass die Lieferung nicht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sei, da nach den Feststellungen das Fahrzeug an einen Scheinunternehmer verkauft worden sei. Der Erwerb des Kraftfahrzeugs unterliegt zwar der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich in Ungarn, aber dies ist nicht die streitgegenständliche Lieferung nach Österreich, für die die Steuerbefreiung als innergemeinschaftliche Lieferung begehrt wird.
Die Lieferung ist aber nach § 6a Abs. 4 UStG als steuerfrei anzusehen. Der liefernde Unternehmer kann sich auf den Vertrauensschutz berufen, da er nicht wissen konnte, dass es sich um einen Scheinunternehmer handelt. Die Lieferung ist steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Dem Vertrauensschutz stehe es auch nicht entgegen, dass die Rechnung keine fortlaufende Nummer enthielt, da dieser Angabe nach Auffassung des Gerichts bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung keine Bedeutung zukomme. Der fehlerhafte Hinweis auf eine "innerbetriebliche" Lieferung anstelle einer innergemeinschaftlichen Lieferung müsse als Versehen eingestuft werden, das keine Auswirkungen auf den Vertrauensschutz habe. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der ihm erteilten Angaben musste der Lieferer nicht haben.
Hinweis
Das Urteil verknüpft die neuere Rechtsprechung von EuGH und BFH zu der Zuordnung der bewegten Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts und die Frage des Vertrauensschutzes bei Lieferungen im Gemeinschaftsgebiet.
Die Rechtsprechung beruht bezüglich der formalen Nachweisv...