Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Gemeinschaftsrechtlich ist noch nicht abschließend geklärt, ob die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung versagt werden kann, wenn der liefernde Unternehmer wusste, dass der Erwerber den innergemeinschaftlichen Erwerb nicht besteuert und er den wahren Abnehmer verschleiert.
Sachverhalt
Die Kläger erwarben Fahrzeuge und nahmen aus den dafür erstellten Rechnungen den Vorsteuerabzug vor. Weiterhin verkauften sie Neufahrzeuge nach Italien im Rahmen eines Reihengeschäfts und erfassten diese Lieferungen als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen.
Im Rahmen von Prüfungs- und Fahndungsmaßnahmen stellte die Finanzverwaltung fest, dass der Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen zu Unrecht vorgenommen wurde, da die Identität des Lieferers und des Rechnungsausstellers nicht gegeben sei. Ebenso liege - wegen einer Beteiligung an einem Steuerbetrug durch Nichtbesteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Käufer der Fahrzeuge - keine steuerfreie Lieferung vor.
Zwischenzeitlich erfolgte eine rechtskräftige Verurteilung der Kläger wegen Steuerhinterziehung wegen des vorgenommenen Vorsteuerabzugs.
Die Kläger begehrten die Aussetzung der Vollziehung der durch Änderungsbescheide festgesetzten Steuerbeträge.
Entscheidung
Das Gericht hat dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung teilweise stattgegeben.
Werden neue Fahrzeuge geliefert, hängt die Steuerfreiheit für eine innergemeinschaftliche Lieferungen nicht davon ab, ob der Abnehmer ein Unternehmer ist (§ 6a Abs. 2 Buchst. c UStG). Die Voraussetzungen - insbesondere das Gelangen des Gegenstands in den anderen Mitgliedstaat - müssen aber vom Unternehmer nachgewiesen werden. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert worden ist. Ist der Beleg- und Buchnachweis fehlerhaft, kann die Lieferung gleichwohl steuerfrei sein. Unabhängig von der Art des Beleg- oder Buchfehlers ist die Lieferung steuerfrei, wenn nach der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit vorliegen . Da die Frage, ob eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, anhand objektiver Kriterien zu erfolgen hat, ist es nach der Auffassung des Gerichts unerheblich, ob die Lieferungen durch die Steuerfahndung festgestellt oder durch die Antragstellerin nachgewiesen worden sind.
Es ist aber rechtlich zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit gewährt werden kann, selbst wenn die Verbringensvoraussetzungen vorliegen. Denn für den Streitfall hat der BGH entschieden, dass die Kfz-Lieferungen an die Abnehmer in Italien keine steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen i.S.d. § 6a UStG darstellen, weil der Kläger in kollusivem Zusammenwirken mit dem tatsächlichen Abnehmer die Lieferung an einen Zwischenhändler vorgetäuscht hat, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu ermöglichen . Mit Beschluss v. 29.7.2009 hat der BFH in einem ähnlich gelagerten Fall festgestellt, dass es ernstlich zweifelhaft ist, ob der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt. Der BGH hat im Hinblick auf die Rechtsbedenken den EuGH um Vorabentscheidung gebeten, ob die Steuerbefreiung davon abhängig ist, dass der Verkäufer sich an einem Warenumsatz beteiligt, der darauf angelegt ist, Umsatzsteuer zu hinterziehen und wenn er die Waren Abnehmer verschleiert.
Keinen Erfolg hatte der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, soweit es sich um den Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen handelte. Schon vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung wegen des vorgenommenen Vorsteuerabzugs bestehen keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen - keine Identität des Lieferers und des Rechnungsausstellers - für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG nicht vorliegen. Die Kläger können sich auch nicht auf den Schutz des guten Glaubens berufen, denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen - auch was die Identität von Leistendem und Rechnungsaussteller und dessen Unternehmereigenschaft anbelangt - im Festsetzungsverfahren nicht vorgesehen.
Hinweis
Interessant für die Praxis ist vor allem, ob die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung davon abhängig gemacht werden kann, dass der leistende Unternehmer einen Umsatz ausgeführt hat, bei dem er wusste, dass der Vertragspartner eine entstehende Umsatzsteuer nicht abführen wird. Insoweit ist auf die Entscheidung des EuGH zu warten.
Link zur Entscheidung
FG München, Beschluss vom 20.08.2009, 14 V 521/09