Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
2.1 Sachverhalt
Unternehmer U aus München liefert regelbesteuerte Waren in alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Im Januar 2022 tritt der Abnehmer A aus den Niederlanden an U heran, um in Zukunft Waren von U zu beziehen. Da A seine unternehmerische Betätigung nach seinen Auskünften in den Niederlanden erst neu aufgenommen hat, ergeben sich zu Beginn einige Schwierigkeiten. Um zu einer zutreffenden umsatzsteuerrechtlichen Behandlung zu kommen, bittet U um Stellungnahme zu den folgenden Vorgängen:
- Bei der ersten Bestellung vom 2.1.2022 kann A dem U noch keine USt-IdNr. vorlegen. Auch am 6.1.2022, als U die Ware dem von ihm beauftragten Frachtführer übergibt, liegt noch keine USt-IdNr. des Abnehmers vor. Die ihm am 18.1.2022 erteilte (zutreffende) niederländische USt-IdNr. kann A dem U per Mail erst am 20.1.2022 mitteilen. Die Ware wird am 7.1.2022 beim Kunden in Amsterdam (NL) abgeliefert, eine Zahlung i. H. v. 30.000 EUR geht noch im Januar bei U ein.
- Zum Zeitpunkt der zweiten Bestellung am 8.1.2022 kann A dem U eine ihm gerade in Belgien erteilte (zutreffende) USt-IdNr. mitteilen. Die Ware wird am 10.1.2022 einem von U beauftragten Frachtführer übergeben, der die Ware am 13.1.2022 bei A in Amsterdam abliefert, eine Zahlung i. H. v. 20.000 EUR geht noch im Januar bei U ein.
- Bei der dritten Bestellung am 22.1.2022 verwendet A seine niederländische USt-IdNr. Die Ware übergibt U einem von seinem Auftraggeber beauftragten Frachtführer am 27.1.2022 zusammen mit seiner Rechnung. Gemäß einer ihm vorliegenden Bestätigung des A ist die Ware am 29.1.2022 bei ihm in den Niederlanden angekommen. Die Bezahlung i. H. v. 10.000 EUR geht bei U am 4.2.2022 ein. Neben der unter dem Namen des A erstellten und von ihm unterschriebenen Bestätigung, dass die genau bezeichnete Ware im Januar 2022 bei A unter der angegebenen Adresse in den Niederlanden angekommen ist, liegen dem U keine weiteren Unterlagen vor.
2.2 Fragestellung
U möchte wissen, welche Rechtsfolgen sich für ihn aus den genannten Vorgängen ergeben. Beim zweiten Sachverhalt interessieren ihn auch die Auswirkungen beim Erwerber A.
2.3 Lösung
U ist Unternehmer, da er selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist; zu dem Rahmen seiner unternehmerischen Betätigung gehören alle Lieferungen von Gegenständen.
Unternehmerische Tätigkeit gilt grenzüberschreitend
Die unternehmerische Tätigkeit ist nicht auf einen Staat begrenzt. Ist der Unternehmer unternehmerisch tätig, erstreckt sich seine Tätigkeit auf seine weltweiten Aktivitäten.
1. Lieferung vom 6.1.2022 (ohne USt-IdNr.)
U führt eine Lieferung gegenüber dem Abnehmer A in den Niederlanden aus, da er ihm die Verfügungsmacht an der Ware verschafft. Da die Ware durch einen beauftragten Dritten transportiert wird, handelt es sich um eine Versendungslieferung, deren Ort sich nach § 3 Abs. 6 UStG bestimmt und damit am Ort der Übergabe an den Frachtführer ausgeführt ist. Die Lieferung ist in Deutschland nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar.
Kein Ort der Lieferung nach § 3c UStG
Theoretisch wäre zu prüfen, ob sich für U der Ort seiner Lieferung nach § 3 Abs. 5a i. V. m. § 3c Abs. 1 UStG in die Niederlande – dem Ort, an dem sich die Ware am Ende der Versendung befindet – verlagern würde. Da nach den Sachverhaltsangaben A aber Unternehmer sein soll und auch für sein Unternehmen handelt, gehört er nicht zu den in § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG bezeichneten Empfängern und ist nach den Sachverhaltsangaben auch kein "besonderer Unternehmer" i. S. d. § 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG, sodass kein Abnehmer nach § 3c Abs. 1 Satz 3 UStG aus Sicht des liefernden Unternehmers vorliegt.
Da die Ware aber aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftgebiet gelangt, ist zu prüfen, ob eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a Abs. 1 UStG vorliegen kann. Die Ware wird in einen anderen Mitgliedstaat versendet und der Erwerb unterliegt offensichtlich auch – ohne dass dies U allerdings nachweisen kann – in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung. In Ermangelung einer vorliegenden USt-IdNr. kann U allerdings nicht nachweisen, dass der Leistungsempfänger ein in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer registrierter Unternehmer ist. Außerdem kann er nicht die seit dem 1.1.2020 notwendige Voraussetzung erfüllen, dass der Leistungsempfänger ihm gegenüber eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr. verwendet hat. Da die notwendigen Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht vorliegen, unterliegt die Lieferung keiner Steuerbefreiung und ist damit steuerpflichtig.
Nachmeldung der USt-IdNr. unbeachtlich
Da die USt-IdNr. dem U erst nach Ausführung der Lieferung vom Leistungsempfänger vorgelegt worden ist, sind die Voraussetzungen für die innergemeinschaftliche Lieferung nicht erfüllt. Insoweit hat der Erwerber gegenüber dem Lieferer keine ihm aus einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr. verwendet. Die Finanzverwaltung hat zwar in Abschn. 6a.1 Abs. 19 UStAE festgelegt, dass...