Leitsatz
1. Die Art. 20 Abs. 1 und 138Abs. 1 MwStSystRL sind dahin auszulegen, dass die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb nicht von der Einhaltung einer Frist abhängen kann, innerhalb deren die Beförderung des in Rede stehenden Gegenstands vom Liefermitgliedstaat in den Bestimmungsmitgliedstaat beginnen oder abgeschlossen sein muss. Im speziellen Fall des Erwerbs eines neuen Fahrzeugs i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii dieser RL hat die Bestimmung des innergemeinschaftlichen Charakters des Umsatzes im Wege einer umfassenden Beurteilung aller objektiven Umstände sowie der Absicht des Erwerbers zu erfolgen, sofern diese durch objektive Anhaltspunkte untermauert wird, anhand deren ermittelt werden kann, in welchem Mitgliedstaat die Endverwendung des betreffenden Gegenstands beabsichtigt ist.
2. Für die Beurteilung, ob ein Fahrzeug, das Gegenstand eines innergemeinschaftlichen Erwerbs ist, neu i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der MwStSystRL ist, ist auf den Zeitpunkt der Lieferung des betreffenden Gegenstands vom Verkäufer an den Käufer abzustellen.
Normenkette
Art. 2, Art. 20 Abs. 1, Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL (§ 1a, § 1b, § 6a UStG)
Sachverhalt
Eine in Schweden ansässige Privatperson, X, beabsichtigte, in UK ein Segelboot für den privaten Gebrauch zu erwerben und es zunächst im Liefermitgliedstaat für einen Zeitraum von drei bis fünf Monaten für Freizeitzwecke zu verwenden und dabei mit ihm jedenfalls mehr als 100 Stunden zu segeln und im Anschluss auf dem Seeweg an seinen endgültigen Bestimmungsort in Schweden zu bringen; X beantragte hinsichtlich der möglichen Besteuerung in Schweden eine verbindliche Auskunft.
Zweifel bestanden, ob die Beförderung in den anderen Mitgliedstaat innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen muss und welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Fahrzeugs als "neu" maßgeblich sein kann.
Entscheidung
Die wesentlichen Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Die Beurteilung eines ein neues Fahrzeug betreffenden Umsatzes als igLieferung oder igErwerb könne grundsätzlich nicht von der Einhaltung einer konkreten Frist abhängen, innerhalb deren die Beförderung des gelieferten Gegenstands beginnen oder abgeschlossen sein muss. Festzustellen sei, ob ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des in Rede stehenden Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Vorgangs gegeben sei. Unterwerfe ein Mitgliedstaat einen Umsatz, der die objektiven Voraussetzungen einer igLieferung erfülle, deshalb der USt, weil er insoweit eine bestimmte Frist für die Beförderung aus seinem Gebiet vorsehe, wie dies der Kläger im Ausgangsverfahren für die Beurteilung als igLieferung in UK behauptet hatte, müsse er, wenn dies tatsächlich zu einer Doppelbesteuerung führe, die USt erstatten.
Hinweis
Der innergemeinschaftliche Erwerb (igErwerb) von neuen Wasserfahrzeugen durch Nichtunternehmer unterliegt der USt. Als neu gelten Wasserfahrzeuge nach Unionsrecht, wenn die Lieferung innerhalb von drei Monaten nach der ersten Inbetriebnahme erfolgt oder wenn das Fahrzeug höchstens 100 Stunden zu Wasser zurückgelegt hat (ebenso § 1b UStG).
1. Ob ein Fahrzeug "neu" ist, nach dem Zustand im Zeitpunkt der Lieferung – i.S.d. Verschaffung der Verfügungsmacht – zu beurteilen. Nach Art. 68 Abs. 2 MwStSystRL gilt der igErwerb von Gegenständen zu dem Zeitpunkt bewirkt, zu dem die Lieferung gleichartiger Gegenstände innerhalb des Mitgliedstaats als bewirkt gilt. Deshalb ist – auch für die Beurteilung der Neuheit – maßgebend der Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht vom Verkäufer an den Käufer (Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL; vgl. § 3 Abs. 1 UStG). Ohne Bedeutung ist insoweit – also für die Beurteilung, ob es sich um ein neues Fahrzeug handelt – nach EuGH – die Regelung über den Leistungsort für den innergemeinschaftlichen Erwerb (Art. 40 MwStSystRL; anders noch BFH, Urteil vom 20.12.2006, V R 11/06 [BFH/NV 2007, 841] unter II.2.c zu § 3d UStG – Segelyacht).
2. Besteuert wird der igErwerb eines neuen Wasserfahrzeugs, wenn die Lieferung innerhalb von 3 Monaten nach der ersten Inbetriebnahme erfolgt oder das Fahrzeug höchstens 100 Stunden zu Wasser zurückgelegt hat. Die igLieferung und der igErwerb sind letztlich ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang. Der igErwerb und die igLieferung sind dann bewirkt, wenn dem Käufer die Verfügungsmacht verschafft wird, der Lieferer nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert wurde und wenn er aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung tatsächlich den Liefermitgliedstaat verlassen hat.
Fraglich war im Ausgangsrechtsstreit, ob die die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Fahrzeugs von der Einhaltung einer konkreten Frist abhängen kann, innerhalb deren die Beförderung des gelieferten Gegenstands beginnen oder abgeschlossen sein muss. Dies hat der EuGH verneint: denn...