Üblicherweise gibt es für das gesamte Unternehmen eine einheitliche Übersicht aller definierten Prozesse, welche als Prozessmodell oder Prozesslandkarte bezeichnet wird. Die darin beschriebenen Prozesse werden mit den in Abb. 14: ("Turtle") genannten Details in teils umfangreichen Prozessbeschreibungen für alle Mitarbeiter des Unternehmens einheitlich und verbindlich beschrieben und dokumentiert.
Damit entsteht eine gewisse Starre in den Vorgaben für die operative Arbeit, auch wenn Prozessvarianten definiert sind. Individuelle Anforderungen des (Prozess-)Kunden können oft nicht flexibel aufgenommen werden, die Kundenzufriedenheit sinkt. Wenn Wettbewerber besser die Kundenanforderungen erfüllen können, sinkt damit auch die Wettbewerbsfähigkeit.
Ist also ein flexibles Prozessmanagement nicht möglich? Eine Grundregel bei der Definition von Prozessen lautet: So detailliert wie nötig, so grob wie möglich.
Prozessbeschreibungen geben damit einen Rahmen vor, der von den handelnden Personen verantwortlich im Sinne des Unternehmens ausgefüllt wird. Es geht um das Erzeugen wirtschaftlich relevanter Qualität und nicht primär um die Einhaltung von Organisationsanweisungen.
Für Inhalte, die nicht zwingend von allen einheitlich umgesetzt werden müssen, reichen Eckpunkte im Sinne einer Checkliste (z. B. "Beratungsgespräch führen"). Mitunter kann es sinnvoll sein, für diese Eckpunkte zeitliche Orientierungen zu vereinbaren, um z. B. den einem Kunden zugesagten Liefertermin und die versprochene Qualität einhalten zu können. Aber zum Schluss legen die Eckpunkte nur fest, was im Normalfall zu tun ist. Das Wie und die Reaktion in besonderen Situationen bleibt den handelnden Menschen überlassen. Aber das, was als Spielregel vereinbart wird, ist in jedem Fall verbindlich.
Diese Kombination von definierten technischen Prozessen und checklistenartigen Eckpunkten für das menschliche Handeln schafft klare Regeln für die Unternehmenssteuerung und zu gleich Gestaltungsräume für kontextabhängige individuelle Tätigkeiten. Die prozessorientierte Vorgehensweise der ISO 9000 wäre damit immer noch sichergestellt, ohne eine Einschränkung in der Flexibilität und Agilität zu haben.
Es gilt, eine weitere Besonderheit der mit der Digitalisierung und Vernetzung entstehenden Formen für die Unternehmenssteuerung zu beachten. Aufgrund der Entwicklung verschiedener Formen der Selbstorganisation sehen moderne Organisationen oftmals autonome Teams vor, die unabhängig von anderen Teams und unabhängig von hierarchischen Vorgaben arbeiten sollen. Moderne Arbeitsmethoden sind zunehmend projektorientiert und in besonderer Weise kundenorientiert. Ein zentrales Prozessmodell und zentrale Prozessbeschreibungen stoßen hier an ihre Grenzen. Die bisherigen Standardprozesse als unterstützende Struktur für das agile menschliche Handeln müssen diesen Veränderungen angepasst werden.
Es kann je nach Organisation der Teams erforderlich sein, auch die grobe Prozessbeschreibung zu individualisieren. Markt-Teams können nach Kundengruppen aufgeteilt sein, z. B. für Geschäfts- und Privatkunden oder nach Branchen. Dafür wird es dann Prozessvarianten geben, die bereits auf einer sehr hohen Ebene der Prozessdokumentation differenziert sind. Auf diese Weise kann der Spagat zwischen einheitlicher Prozessorientierung und individueller Arbeitsgestaltung gelingen.
Um die Spielregeln der Zusammenarbeit innerhalb der Teams festzulegen, kann jedes Team gemäß des skizzierten Grundsatzes die Detaillierung des Prozess-Rahmens selbst vornehmen und dabei wiederum Freiraum für individuelle Auslegungen lassen. Insgesamt entsteht eine verzweigte, aber klar definierte Prozesslandschaft für das Unternehmen. Die inzwischen relativ weit verbreitete SCRUM-Methodik zeigt beispielhaft, wie das funktionieren kann. Bei SCRUM werden tägliche stand-up-Meetings, die Art der Kapazitätsplanung und die Prüfung und Kommunikation der Fertigstellung ("definition of done") sehr genau beschrieben und es wird von allen SCRUM-Teams genau diese Vorgehensweise erwartet. In den Inhalten der Aufgabenerfüllung ist das Team dagegen weitgehend frei. Allerdings zeigt sich auch bei SCRUM, dass hier der Prozessbegriff erweitert wurde um die individuell anpassbare Skizzierung von wenigen, orientierenden Eckpunkten .Auf diese Weise bleibt ein unternehmensweites Managementsystem erhalten, welches dann auch nach ISO-Normen auditierbar ist.
Scrum: Definition
Hier nur so viel: "SCRUM ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Softwareentwicklung. Es wurde ursprünglich in der Softwaretechnik entwickelt, ist aber davon unabhängig. SCRUM wird inzwischen in vielen anderen Bereichen eingesetzt. Es ist eine Umsetzung von Lean Development für das Projektmanagement". Im Abschnitt 3.2.4 wird die SCRUM-Methodik näher erläutert.
Um eine solche Arbeitsweise der weitgehend individuell freien und situationsbezogen flexiblen Tätigkeit zu ermöglichen, sind drei grundlegende Anforderungen an die ausführend...