Leitsatz
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (seit BFH-Urteil vom 26.6.1992, II R 8/91, BFHE 169, 237, BStBl II 1993, 278) sind Aufwendungen für die Behandlung eines an Legasthenie leidenden Kindes grundsätzlich nur dann als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn im konkreten Fall vor Beginn der betreffenden Maßnahme durch ein amtsärztliches Attest deren medizinische Notwendigkeit bescheinigt wird. Diesen qualifizierten Nachweis können auch Bescheinigungen eines Schulaufsichtsamts oder eines einschlägig tätigen Universitätsprofessors nicht ersetzen.
Normenkette
§ 33 EStG
Sachverhalt
Die englischsprachigen Kläger machten vergeblich Schulgeld und Reisekosten für den Internatsbesuch ihres Sohnes in England für die Jahre 1988-1990 als außergewöhnliche Belastung geltend.
Zur Begründung führten sie an, das Kind leide an einer Lese- und Rechtschreibeschwäche infolge einer Hirnfunktionsstörung, die durch den Besuch einer muttersprachlichen Schule, die auf solche Behinderungen spezialisiert sei, behandelt werden könne. Sie belegten ihren Vortrag durch Bescheinigungen eines Universitätsprofessors für Jugend- und Kinderpsychiatrie sowie Stellungnahmen der Schulbehörde.
Das FG wertete die ärztlichen Bescheinigungen wie auch die Stellungnahme der Schulbehörde als ausreichenden Ersatz für ein amtsärztliches Attest und gab der Klage statt. Die Revision des FA war erfolgreich.
Entscheidung
Der BFH hielt zwar an seiner Rechtsprechung fest, wonach Kosten für die Behandlung von Legasthenie als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sein können, sofern die Leseschwäche im konkreten Fall eine Krankheit darstelle. Die Notwendigkeit der Behandlung müsse aber zuvor durch ein amtsärztliches Attest bescheinigt werden, da nur der Amtsarzt über die Sachkunde und die Neutralität verfüge, ohne die für den behandelnden Arzt bestehende Gefahr einer Störung des Vertrauensverhältnisses die medizinische Notwendigkeit der Behandlung zu beurteilen. Er gab den Klägern allerdings die Möglichkeit, ein entsprechendes Attest nachzureichen.
Hinweis
Der BFH hat im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung am Erfordernis eines amtsärztlichen Attests festgehalten. Werden – wie im Streitfall – Kosten für den Besuch eines Internats als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht, gebietet schon der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen, dass es sich wirklich um Krankheitskosten handelt und nicht um Aufwendungen zur Förderung der sprachlichen und sozialen Entwicklung des Kindes, die von anderen Steuerpflichtigen – vom Kinder- und Ausbildungsfreibetrag abgesehen – steuerlich nicht abgezogen werden können.
Auch Gründe der Praktikabilität sprechen für das Festhalten an diesem Erfordernis. Würden Ausnahmen zugelassen, müssten in jedem Einzelfall die Qualifikation des bescheinigenden Arztes gewürdigt und ggf. im Rahmen einer Beweisaufnahme durch Sachverständige ermittelt werden. Demgegenüber dürfte es auch dem nicht einschlägig spezialisierten Amtsarzt oder dem Arzt des medizinischen Diensts einer gesetzlichen Krankenkassen ohne weiteres möglich sein, ggf. im Rahmen einer Nachfrage beim behandelnden Arzt, sich ein eigenes medizinisches Urteil zu bilden.
Ein amtsärztliches Attest kann im Ausnahmefall nachgereicht werden, wenn vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden konnte, dass er Kenntnis von der Notwendigkeit einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung hatte. Der BFH hat diese Voraussetzung im Streitfall bejaht, weil erstmals im Urteil in BFHE 169, 37, BStBl II 1993, 278 bei einer krankhaften Leseschwäche die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses vor Beginn der Behandlung verlangt worden sei.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.6.2000, III R 54/98