Prof. em. Dr. Rudolf Federmann
Rz. 1
Gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 242 Abs. 1 HGB ist jeder Kaufmann (§ 1 HGB) verpflichtet, sowohl bei Geschäftseröffnung als auch auf den Schluss eines jeden Geschäftsjahres auf Grund einer Bestandsaufnahme (Inventur) ein Verzeichnis (Inventar) seiner Vermögensgegenstände und Schulden aufzustellen.
Rz. 2
Seit dem BilMoG von 2009 wird nicht kapitalmarktorientierten Einzelkaufleuten mit kleiner Unternehmensgröße durch § 241a HGB ein Wahlrecht zum Verzicht auf die Aufstellung eines Inventars eingeräumt. Bedingung ist, dass an den Abschlussstichtagen von 2 aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren die Schwellenwerte von
- 600.000 EUR Umsatzerlöse und
- 60.000 EUR Jahresüberschuss
nicht überschritten werden.
Im Falle einer Neugründung besteht die Verzichtsmöglichkeit nach § 241a Satz 2 HGB bereits, wenn die Schwellenwerte am ersten Abschlussstichtag nach der Neugründung nicht überschritten werden. Zur Feststellung der voraussichtlichen Einhaltung der Schwellenwerte soll eine dokumentierte überschlägige Ermittlung genügen.
Bei Verzicht auf doppelte kaufmännische Buchführung – einschließlich der Inventarerstellung – ist für handelsrechtliche Zwecke eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 EStG zu erstellen.
Wie das Wahlrecht ausgeübt wird, ist gesetzlich nicht geregelt. Es genügt, wenn der Kaufmann keine kaufmännische Buchführung und keine Bestandsaufnahmen praktiziert und eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung erstellt (faktische Wahlrechtsausübung).
Rz. 3
Die originäre steuerliche Verpflichtung zur kaufmännischen Buchführung bei Überschreiten der Schwellenwerte des § 141 AO, zu der auch die Inventarerstellungspflicht zählt, bleibt von der handelsrechtlichen Verzichtsmöglichkeit unberührt. Zu beachten ist auch, dass zwar die Schwellenwerte von § 241a HGB und § 141 Abs. 1 AO zahlenmäßig identisch sind, sich aber auf u. U. abweichende Größen beziehen, wie etwa bestimmte Umsätze i. S. d. UStG oder den Gewinn aus Gewerbebetrieb. Auch ist die 2-Jahresbedingung dem Steuerrecht fremd. Besteht bei Verzicht auf handelsrechtliche Inventarerstellung – nach Mitteilung der Finanzbehörde (§ 141 Abs. 2 AO) – steuerliche Buchführungspflicht, so sind die Inventur und Inventar betreffenden handelsrechtlichen Vorschriften (§§ 240, 241 HGB) entsprechend anzuwenden (§ 141 Abs. 1 S. 2 AO).
Rz. 4
Inventurvereinfachungsverfahren sind in § 241 HGB geregelt. Über §§ 140 bzw. 141 Abs. 1 Satz 2 AO gelten diese Verpflichtungen auch steuerrechtlich. R 5.3 und R 5,4 EStR enthalten Verwaltungsvorschriften zur Inventur und zum Inventar beim Vorratsvermögen und Anlagevermögen, einschließlich deren Erleichterungsmöglichkeiten.