Kommentar
1. Die 4. Richtlinie des Rates v. 25. 7. 1978 über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsform regelt die handelsrechtliche Bilanzierung lediglich von Kapitalgesellschaften. Anläßlich der Transformation der Bilanzrichtlinie hat der deutsche Gesetzgeber jedoch im Bilanzrichtliniengesetz v. 19. 12. 1985 mit den §§ 242 ff. HGB Bilanzierungsregeln nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für Personengesellschaften und Einzelunternehmer geschaffen ( Bilanz ).
2. Für die Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung verweist der Maßgeblichkeitsgrundsatz nach § 5 Abs. 1 EStG auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, wie sie in §§ 242 ff. HGB kodifiziert sind. Dieser Verweis führt zu der Frage, ob bei der Auslegung von Steuerbilanzrecht nicht nur die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, sondern auch die gemeinschaftsrechtliche Bilanzrichtlinie heranzuziehen sind.
3. Bejaht man eine solche mittelbare Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auch auf das nationale Steuerbilanzrecht, so ist der BFH nach Art. 177 EGV verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH in Auslegungsfragen einzuholen.
4. Der vorlegende I. Senat des BFH verneint eine solche Pflicht, vor allem weil es Aufgabe der nationalen Gerichte sei, die Tragweite der Bezugnahme auf Gemeinschaftsrecht durch den nationalen Gesetzgeber zu beurteilen.
5. Hinzu komme der Umstand, daß das Ertragsteuerrecht der Mitgliedstaaten bisher einen eigenständigen nationalen Bereich ohne gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung darstelle.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 09.09.1998, I R 6/96
Anmerkung:
Es gehört zu den umstrittensten Fragen des Bilanzsteuerrechts, inwieweit dieses schon heute infolge der Maßgeblichkeit der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und der Reform des Handelsbilanzrechts aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Bilanzrichtlinie „europäisiert” ist und damit in die Auslegungskompetenz des EuGH fällt. Die Frage läßt sich nicht in Anknüpfung an das Umsatzsteuerrecht beantworten, da mit dem UStG gemeinschaftsrechtliche Richtlinien in nationales Recht umgesetzt worden sind. So begrüßenswert die jetzige Vorlage zur Klärung der Streitfrage erscheint, erscheint dennoch hierfür eine vom I. Senat bejahte Zuständigkeit des Großen Senats des BFH fraglich. Eher dürfte es in die Kompetenz des EuGH fallen, über die Reichweite von Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, auf das der nationale Steuergesetzgeber mittelbar Bezug genommen hat.