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Ein weiteres Problem hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Anschaffung und Herstellung besteht dann, wenn Software erworben und anschließend von Mitarbeitern des Erwerbers bzw. mit Unterstützung von Dritten auf Basis eines Dienstvertrags installiert bzw. angepasst wird. In diesem Zusammenhang ist daher auch die Thematik der "nachträglichen Herstellungskosten" zu betrachten.[1] Von nachträglichen Herstellungskosten wird gesprochen, wenn ein vorhandener Vermögensgegenstand bzw. ein vorhandenes Wirtschaftsgut erweitert oder über seinen ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbessert wird. Sofern dies nicht der Fall ist, ist entweder von aufwandswirksamen Erhaltungsaufwendungen oder aktivierungspflichtigen Inbetriebsetzungsaufwendungen auszugehen. Schließlich dient die Aktivierung der entsprechenden Ausgaben bzw. Aufwendungen in diesem Kontext vor allem im Rahmen der Erstbewertung u. a. dazu, die in einzelnen Geschäftsjahren getätigten Ausgaben bzw. angefallenen Aufwendungen bzgl. der einzelnen Geschäftsjahre entsprechend der dynamischen Bilanztheorie insofern gegeneinander abzugrenzen, als aus diesen (auch) zukünftig Nutzen gezogen werden kann. Diesem dynamischen Verständnis ist durch die zukünftige Aufwandsverrechnung der aktivierten Ausgaben bzw. Aufwendungen im Rahmen der Folgebewertung Rechnung zu tragen.

Je nach Umfang der Anpassungsarbeiten sind folgende Konstellationen zu unterscheiden:

  • Wird (Standard-)Software lediglich auf den entsprechenden Rechnern installiert, ohne wesentlich geändert zu werden, liegt ein entgeltlicher Erwerb vor. Die Installation dient dann nur dazu, den erworbenen Gegenstand in einen betriebsbereiten Zustand[2] zu versetzen, und führt unter den allgemeinen Voraussetzungen, z. B. § 255 Abs. 1 HGB, zu Anschaffungskosten.
  • Wird (variable Standard-)Software – unabhängig davon, ob erworben oder selbst geschaffen – hingegen derart an die betrieblichen Gegebenheiten angepasst, dass diese ihren ursprünglichen Charakter verliert, entsteht ein neuer Vermögensgegenstand, in welchen die ursprüngliche Software ein- bzw. untergeht. Dies ist dann der Fall, wenn von einer Wesensänderung der Standardsoftware auszugehen ist.[3] Diesbezüglich relevante Beurteilungskriterien sind die vor und nach der Implementierung und Anpassung vorhandenen Funktionen der Software.[4] Führt die Wesensänderung einer bestehenden aktivierten Software zur Entstehung einer neuen Software und trägt das bilanzierende Unternehmen das Herstellungsrisiko, besteht – auch im Hinblick auf die ursprüngliche Software – handelsrechtlich das Aktivierungswahlrecht gem. § 248 Abs. 2 HGB bzgl. der Aufwendungen für die neue Software. Es handelt sich um einen Herstellungsvorgang. Steuerlich besteht insgesamt ein Aktivierungsverbot gem. § 5 Abs. 2 EStG. Sofern hingegen ein Dritter das Herstellungsrisiko (bspw. auf Basis eines Werkvertrages) trägt, besteht sowohl handelsrechtlich als auch steuerlich eine Aktivierungspflicht für die neue Software. Hierbei handelt es sich um einen Anschaffungsvorgang. Die Restbuchwerte der ursprünglichen Software sind entsprechend jeweils als Teil der Anschaffungskosten zu berücksichtigen, weil die ursprüngliche Software in die neue Software eingeht.
  • Wird erworbene Software dagegen nur geringfügig modifiziert bzw. erst dadurch in einen betriebsbereiten Zustand versetzt, bleibt es beim Anschaffungsvorgang. Für die Aufwendungen besteht handelsrechtlich und steuerlich unter den allgemeinen Voraussetzungen für Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 HGB eine Aktivierungspflicht.
  • Werden nicht gänzlich neue Vermögensgegenstände angeschafft bzw. hergestellt, sondern fallen Aufwendungen im Kontext mit einem bereits vorhandenen Vermögensgegenstand an, sind diese Aufwendungen entweder sofort aufwandswirksame Erhaltungsaufwendungen oder als zu aktivierende nachträgliche Herstellungskosten zu behandeln. Nachträgliche Herstellungskosten liegen vor, sofern der einstige Vermögensgegenstand bzw. das einstige Wirtschaftsgut dem veränderten Vermögensgegenstand bzw. Wirtschaftsgut nach wie vor das Gepräge gibt, jedoch diesbezüglich eine Erweiterung oder eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung vorliegt. Entsprechend der dynamischen Bilanztheorie wird bei einer Aktivierung dem Aspekt des Nutzungsvorrat i. S.e. Wertanreicherung Rechnung getragen.[5] Aufwendungen, die lediglich dazu dienen, einen gegebenen Nutzungsvorrat zu bewahren, stellen Erhaltungsaufwand dar. Dies gilt auch für vermeintliche nachträgliche Herstellungskosten bzw. Aufwendungen, die eine kürzere erwartete Nutzungsdauer haben als die Restnutzungsdauer des einstigen Vermögensgegenstandes bzw. Wirtschaftsgutes. Bei Vermögensgegenständen bzw. Wirtschaftsgütern, bei denen "Anschaffungskosten" als ursprünglicher Bewertungsmaßstab relevant waren, können nachträgliche Herstellungskosten erst dann anfallen, wenn die Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter von der fremden in die eigene Verfügungsgewalt überführt und in einen bet...

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