Prof. em. Dr. Rudolf Federmann
Rz. 27
Neben vielfältigen Einzelnormen bestimmen auch kodifizierte, teilweise und nicht kodifizierte Grundsätze den Jahresabschluss.
2.1 Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
Rz. 28
Die für alle Kaufleute gem. § 243 Abs. 1 HGB verbindlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) wurden früher induktiv "nach den Gepflogenheiten sorgfältiger Kaufleute" ermittelt. Heute versteht man hierunter – deduktiv ermittelt – "diejenigen Regeln, nach denen der Kaufmann zu verfahren hat, um zu einer dem gesetzlichen Zweck entsprechenden Bilanz zu gelangen".
Einzelne GoB sind im HGB – zumindest teilweise – kodifiziert:
- Aufstellungsgrundsatz, §§ 243 Abs. 1 und 2, 244 HGB,
- Stichtagsprinzip, § 242 Abs. 1 HGB,
- Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit, § 243 Abs. 2 HGB,
- Vollständigkeitsgrundsatz, § 246 Abs. 1 HGB,
- Grundsatz wirtschaftlicher Zurechnung, § 246 Abs. 1 Sätze 2, 3 HGB,
- Verrechnungsverbot, § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB, eingeschränkt durch Abs. 2 Satz 2 HGB bei Altersversorgungsvermögen/-verpflichtungen,
- Bilanzidentität, § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB,
- Grundsatz der Unternehmensfortführung, § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB,
- Einzelbewertung, § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB, mit der Ausnahme der Bildung von Bewertungseinheiten bei Sicherungsgeschäften, § 254 HGB,
- Vorsichtsprinzip, insbes. Erhellungsprinzip, Imparitätsprinzip, Realisationsprinzip, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB,
- Periodisierungsprinzip, § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB,
- Ansatzmethodenstetigkeit, § 246 Abs. 3 HGB,
- Bewertungsmethodenstetigkeit, § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB,
- Anschaffungs-/Herstellungskostenprinzip, § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB und
- das Niederstwertprinzip, §§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB für Anlagevermögen, Abs. 4 HGB für Umlaufvermögen.
Rz. 29
Nicht kodifiziert sind z. B. die Grundsätze der
- Einzelbilanzierung (allenfalls für das Inventar, § 240 Abs. 1 HGB),
- Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte,
- Bilanzwahrheit (allenfalls kodifiziert im Bilanzeid, § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB oder in Strafnormen wie § 400 AktG bei unrichtiger Darstellung und Verschleierung) und der
- Wirtschaftlichkeit (Wesentlichkeit).
2.2 Besondere handelsrechtliche Grundsätze
Rz. 30
- Das Prinzip privatrechtlicher Gestaltungsfreiheit lässt den Bilanzerstellern im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften Freiräume der Gestaltung des Jahresabschlusses.
- Nur für Kapitalgesellschaften (einschl. haftungsbegrenzter Personengesellschaften) gilt die Generalnorm des § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB, wonach der Jahresabschluss unter Beachtung der GoB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln hat (sog. "true-and-fair-view"-Prinzip), andernfalls sind zusätzliche Angaben im Anhang erforderlich (§ 264 Abs. 2 Satz 2 HGB). Kleinstkapitalgesellschaften (einschließlich haftungsbegrenzter Kleinstpersonengesellschaften i. S. d. 264a HGB und Kleinstgenossenschaften gem. § 336 Abs. 3 HGB), die keinen Anhang erstellen, müssen zusätzliche Angaben unter der Bilanz angeben; dabei wird – widerlegbar – gesetzlich vermutet, dass der verkürzte Jahresabschluss der Kleinstkapitalgesellschaft/Kleinstgenossenschaft der Generalnorm entspricht.
2.3 Bedeutung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes
Rz. 31
Neben allgemeinen Besteuerungsprinzipien, wie "Gleichmäßigkeit der Besteuerung", "Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit", "Trennungsprinzip" und "Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung", die für den HGB-Jahresabschluss keine Bedeutung haben, ist vor allem für den Jahresabschlussersteller das rein steuerrechtliche "Maßgeblichkeitsprinzip" von Bedeutung.
Rz. 32
Die (direkte) Maßgeblichkeit verlangt, dass in der Steuerbilanz das Betriebsvermögen anzusetzen ist, das nach den handelsrechtlichen GoB (in der Handelsbilanz) auszuweisen ist, es sei denn, es wird abweichend ein steuerliches Wahlrecht ausgeübt. Der ursprüngliche Zweck lag in der Vermeidung von Mehrarbeiten einer gesonderten steuerlichen Bilanzerstellung. Inzwischen haben zahlreiche vorrangig geltende steuerliche Spezialregelungen für den Ansatz dem Grunde nach und insbesondere der mit den §§ 6–7i EStG ausgefüllte Bewertungsvorbehalt das Grundprinzip ausgehöhlt.
Rz. 33
Die früher in § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. verankerte "umgekehrte Maßgeblichkeit", wonach steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben waren, wurde inzwischen aufgegeben und durch eine Dokumentationspflicht der Abweichungen ersetzt.