Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 102
Wie bereits unter Rz. 27 ausgeführt, besteht gegenwärtig ein Wahlrecht in der Anwendung der Regelungen des IAS 39 und des IFRS 9 zur Abbildung von Sicherungsbeziehungen. Die verdeckten Wahlrechte unterscheiden sich in Abhängigkeit von IAS 39 und IFRS 9.
Rz. 103
hedge accounting nach IAS 39
Eine nach den Regeln des hedge accounting zu bilanzierende Sicherungsbeziehung i. S. d. IAS 39 liegt nur vor, wenn alle Kriterien des IAS 39.88 erfüllt sind:
- Dokumentation des Sicherungszusammenhangs bei Abschluss des Sicherungsgeschäftes,
- Eignung zum Risikoausgleich (Effektivität des Sicherungszusammenhangs), d. h. während des gesamten Zeitraums des hedge muss die Wertänderung des Grundgeschäftes fast vollständig durch entgegengesetzte Wertänderungen des Sicherungsgeschäftes ausgeglichen werden,
- hohe Eintrittswahrscheinlichkeit eines antizipierten Geschäfts bei Absicherung der cashflows aus diesem Geschäft,
- verlässliche Bestimmbarkeit der Effektivität des Sicherungszusammenhangs und
- laufende Beurteilung der Wirksamkeit.
Rz. 104
Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen für ein hedge vorliegen, kann ein nach IFRS bilanzierendes Unternehmen entscheiden, ob es das Geschäft als hedge dokumentiert oder hierauf verzichtet. Bei Verzicht auf die Dokumentation der Voraussetzungen eines hedge liegen bei den Sicherungsinstrumenten als derivativen Finanzinstrumenten stets "financial assets at fair value through profit or loss" vor, bei denen die Zeitwertänderungen stets erfolgswirksam zu erfassen sind. Falls das Sicherungsinstrument bei Nachweis der Sicherungsbeziehung als cashflow hedge einzustufen gewesen wäre, müssten während der Laufzeit des cashflow hedge die Zeitwertveränderungen erfolgsneutral im sonstigen Gesamtergebnis (aus bei Eintritt bestimmter Bedingungen zu reklassifizierenden Posten) erfasst werden, soweit das hedge als effektiv gilt. Im Falle des Verzichts auf den Nachweis der Sicherungsbeziehung würden die Zeitwertveränderungen des Sicherungsinstruments hingegen erfolgswirksam über die GuV-Rechnung erfasst.
Rz. 105
hedge accounting nach IFRS 9
Der wesentliche Unterschied zwischen den Hedge-Accounting-Regelungen des IFRS 9 zu denen des IAS 39 besteht darin, dass erkennbares Ziel des IFRS 9 ist, die Abbildung der Sicherungsbeziehungen in der Rechnungslegung dem tatsächlich vom Unternehmen praktizierten Risikomanagement folgen zu lassen (IFRS 9. Kapitel 6.1.1); damit erlangt die vom Unternehmen praktizierte Risikomanagementstrategie eine herausragende Rolle für die Abbildung von Sicherungsbeziehungen. Hieraus folgt insbesondere eine generell weitergehende Abgrenzung von möglichen Grundgeschäften und Sicherungsinstrumenten, um die in den Unternehmen im Rahmen des Risikomanagements angewendeten Sicherungszusammenhänge umfassend(er) abbilden zu können. Eine weitere Konsequenz dieser Ausrichtung am praktizierten Risikomanagement der Unternehmen ist es auf die starre Bandbreite zur (retrospektiven) Effektivitätsmessung nach IAS 39 (vgl. IAS 39.88 b)) i. V. m. IAS 39. Application Guidance. 105 zu verzichten und bei Abweichungen von den durch das Unternehmen gesetzten Effektivitätszielen der Sicherungsbeziehung ein rebalancing anstelle einer zwangsweisen Beendigung der Sicherungsbeziehung durchzuführen.
Rz. 106
Die Aufgabe der in IAS 39.88 b) i. V. m. IAS 39. Application Guidance. 105 enthaltenen starren Grenzen bei der Effektivitätsprüfung ist im Hinblick auf die Reduzierung von Ermessensspielräumen vorteilhaft. An die Stelle der starren 80 %/125 %-Grenze treten folgende kumulativ zu erfüllenden Effektivitätsanforderungen:
- ökonomischer Zusammenhang zwischen dem abgesicherten Grundgeschäft und dem Sicherungsinstrument,
- keine Dominanz des aus dem Kreditrisiko resultierenden Effekts auf die Wertänderungen der Sicherungsbeziehung sowie
- Übereinstimmung der hedge ratio (Sicherungsquote), die im Rahmen des Risikomanagements zur Erreichung des hierin gesetzten Ziels erforderlich ist, mit dem im Rahmen des Hedge-Accounting tatsächlich verwendeten Volumen (d. h. tatsächlich eingesetzte Mengen des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments im Rahmen der Sicherungsbeziehung), ausgenommen es entsteht bei Verwendung dieser Sicherungsquote gezielt eine Ineffektivität (IFRS 9. Kapitel 6.4.1 c).
Diese Voraussetzungen beinhalten eine entsprechende Dokumentation, auf Basis derer das Vorliegen der Bedingungen überprüft werden kann (IFRS 9. Kapitel 6.4.1 b).
Diese kumulativ zu erfüllenden Bedingungen schränken den Ermessensspielraum und vor allem die Zufälligkeiten, die mit der starren 80 %/125 %-Grenze verbunden sind, wesentlich ein. Dies gilt insbesondere aufgrund des zwingend geforderten "ökonomischen Zusammenhangs".
Rz. 107
Ebenfalls werden durch IFRS 9 im Vergleich zu IAS 39 die Ermessensspielräume im Zusammenhang mit der Weiterführung einmal gebildeter Sicherungszusammenhänge deutlich eingeschränkt, da eine freiwillige Beendigung von gebildeten Hedge-Beziehungen grundsätzlich nicht möglich ist. Bei...