Leitsatz
Ein Kanzleiabwickler (§ 55 BRAO) ist Vermögensverwalter i.S. des § 34 Abs. 3 AO. Daher ist er im Rahmen der ihm obliegenden Aufgaben auch zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen und zur Abführung der Umsatzsteuer verpflichtet.
Normenkette
§ 34 Abs. 3, § 33 AO, § 55, § 53 BRAO, § 670 BGB
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Rechtsanwalt, war vom 2.12.2013 bis 12.4.2018 von der Rechtsanwaltskammer B zum Abwickler der Kanzlei der ehemaligen Rechtsanwältin X bestellt. X hatte zum 7.10.2013 ihre Tätigkeit eingestellt.
Das FA forderte den Kläger u.a. auf, als Abwickler für die Kanzlei X Umsatzsteuererklärungen und Einnahmenüberschussrechnungen abzugeben. Der Kläger erwiderte, er sei nicht verpflichtet, diese steuerlichen Pflichten zu erfüllen.
Daraufhin setzte das FA mit Bescheiden vom 30.6.2016 Umsatzsteuer für die Jahre 2014 und 2015 und mit Bescheid vom 1.3.2018 Umsatzsteuer für 2016 fest. Alle Bescheide waren adressiert an den Kläger unter seiner Kanzleiadresse "als Kanzleiabwickler". Im Bescheidkopf hieß es maschinenschriftlich "für Frau X" und daneben jeweils handschriftlich: "Dieser Bescheid ergeht an Sie als Abwickler i.S.v. § 55 BRAO der Kanzlei der ehemaligen Rechtsanwältin Frau X."
In den Erläuterungen der Bescheide war zusätzlich vermerkt: "Ab dem Zeitpunkt Ihrer Bestellung (= 1.1.2014) haben Sie als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 im Hinblick auf das Kanzleivermögen die steuerlichen Pflichten der ehemaligen Rechtsanwältin … zu erfüllen." Die Einsprüche des Klägers blieben erfolglos.
Die Vorinstanz (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.6.2019, 7 K 7092/18, Haufe-Index 13319062, EFG 2019, 1437) setzte auf die Klage des Klägers die Umsatzsteuer herab. Im Übrigen wies es die Klage ab, da der Kläger Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO sei.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
Adresszusätze auslegungsfähig
Der BFH führte ergänzend aus, dass die Bescheide wirksam bekanntgegeben seien. Der maschinenschriftliche Zusatz "für Frau X" sei zwar missverständlich, weil er darauf hindeuten könnte, dass Inhaltsadressatin X sein sollte; jedoch ergebe die gebotene Auslegung der Bescheide, dass sich die Bescheide an den Kläger richten. Im handschriftlichen Zusatz und den Erläuterungen werde eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger als Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO die steuerrechtlichen Pflichten der ehemaligen Rechtsanwältin X zu erfüllen habe.
Hinweis
1. Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in § 34 Abs. 1 AO bezeichneten steuerlichen Pflichten wahrzunehmen, soweit ihre Verwaltung reicht (§ 34 Abs. 3 AO).
2. Verliert ein Rechtsanwalt seine Zulassung, kann nach § 55 Abs. 5 BRAO ein anderer Rechtsanwalt zum Abwickler der Kanzlei eines früheren Rechtsanwalts bestellt werden. Ihm obliegt es, die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln und die laufenden Aufträge fortzuführen (§ 55 Abs. 2 BRAO). Seine Hauptaufgabe besteht darin, die laufenden Mandate abzuwickeln und das in der abzuwickelnden Kanzlei gebundene Vermögen (u.a. den Mandantenstamm) zu verwalten. Er verfügt über das Geschäftskonto des Rechtsanwalts und zieht die offenen Gebührenansprüche (einschließlich Umsatzsteuer) ein.
3. Der BFH hat daraus mit dem Besprechungsurteil abgeleitet, dass der Kanzleiabwickler Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO ist. Wenn er die Gebührenansprüche des Rechtsanwalts einzieht, ist es folgerichtig, dass er die darin enthaltene Umsatzsteuer beim FA anmeldet und an das FA abführt (und damit die Aufgabe des Steuereinnehmers selbst wahrnimmt).
4. Dies hat keine Doppelbesteuerung zur Folge; denn für die Umsätze, die der Kanzleiabwickler an den Kanzleiinhaber erbringt, für den der Abwickler Vermögensverwalter ist, steht dem Kanzleiinhaber der Vorsteuerabzug zu (s. dazu auch Schumann, EFG 2019, 1440). Rechnet der Kanzleiabwickler seine Umsätze gegenüber dem Kanzleiinhaber zeitnah ab, gleichen sich Umsatzsteuer und Vorsteuer daher insoweit aus.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.4.2020 – XI R 18/19