Dipl.-Finanzwirt (FH) Andreas Willner
Viele Unternehmer sehen im neuen Kassengesetz nicht nur eine deutliche Verschärfung der bisherigen Rechtslage, sondern sind der Auffassung, der Gesetzgeber bekämpfe die sich in der Bargeldbranche tummelnden "schwarzen Schafe" auf Kosten aller.
Eine bisher kaum mehr überschaubare Vielzahl von Rechts- und Anwendungsvorschriften, Erlassen und Sonderverordnungen wird infolge des zunehmenden Einsatzes von elektronischen Aufzeichnungssystemen, durch neue, noch weit komplexere Anwendungsvorschriften ersetzt. Vieles lässt sich nur noch mit detailliertem Spezialwissen bewerkstelligen und bleibt EDV-Spezialisten vorbehalten. Betriebsprüfer schauen noch genauer hin als früher und werden angeblich fast immer fündig. Die Unsicherheit auf Unternehmerseite ist groß, die Abhängigkeit vom steuerlichen Berater nimmt zu. Einige befürchten sogar, ihren eigentlichen Geschäftszweck auf Kosten "digitaler Bürokratie" vernachlässigen zu müssen, um dennoch und trotz aller Mühen der erschütternden Diagnose "Ihre Kassenführung ist nicht ordnungsmäßig" nicht zu entkommen.
9.1 Abhilfe – Die Flucht in die offene Ladenkasse
Ab 2020 müssen elektronische Kassensysteme gemäß § 146a AO technisch gegen nachträgliche steuerschädliche Veränderungen geschützt werden. Werden Änderungen im Nachhinein erforderlich, so müssen diese jederzeit nachvollziehbar sein und so protokolliert werden, dass der ursprüngliche Inhalt lesbar bleibt. Systeme, die den gesetzlichen Anforderungen genügen, werden vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert. Nur solche Kassen dürfen danach noch eingesetzt werden. Die Branche erwartete aufgrund der neuen Rechtslage einen milliardenschweren Umsatzzuwachs. Für den einzelnen Unternehmer ist der Austausch der Hardware jedoch mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden, den nicht jeder stemmen kann. Manch einer wird sich die Frage gestellt haben, ob er auf die Neuanschaffung eines teuren Systems nicht lieber gänzlich verzichten sollte. Bei einer Rückkehr zur Einfachstkasse könnte er sich dadurch gleichzeitig von den strengen, für elektronische Kassen geltenden, Aufzeichnungspflichten befreien. Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, klingt verlockend.
9.2 Anforderungen bei offener Ladenkasse nur mit hohem Aufwand zu erfüllen
Der Versuch, den steuerlichen Aufzeichnungspflichten durch die Abkehr von elektronischen Aufzeichnungssystemen zu entgehen, würde sich jedoch schnell als folgenschwerer Irrtum erweisen. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kassenführung sind gerade bei offenen Ladenkassen mit einem besonders hohen Aufwand verbunden. Werden die gesetzlichen "Spielregeln" nicht vollumfänglich eingehalten, kennen Prüfer meist keine Gnade. Aufgrund ihrer strengen Vorgaben haben sie keinen Spielraum hinsichtlich der Einschätzung der Ordnungsmäßigkeit einer Kassenführung. Außerdem gehören Abrechnungen mit dem Personal, betriebsinterne Kontrollen, Verhinderung von Unterschlagungen, automatische Ermittlung der Tageseinnahmen, Artikel- und Warengruppenberichte, betriebswirtschaftliche Zusammenstellungen, Warenwirtschaft u. v. m. zugunsten zweifelhafter steuerlicher Erleichterungen urplötzlich der Vergangenheit an. Ein Rückschritt, der mitunter teuer bezahlt werden müsste.
Ist der Unternehmer nicht aus Zumutbarkeitsgründen von der Einzelaufzeichnungspflicht befreit, verhilft ihm auch die offene Ladenkasse nicht dazu. Ob ein Unternehmer Einzelaufzeichnungen führen muss oder nicht, hängt nicht von der Art der Kasse ab, die er führt. Ohne Registrierkasse müssten bei Vorliegen der Pflicht zur Einzelaufzeichnung alle Umsätze einzeln und handschriftlich dokumentiert werden – so wie in längst vergessenen Zeiten noch üblich. Werden im Rahmen von Außenprüfungen Unstimmigkeiten festgestellt lassen sich diese bei Verwendung einer offenen Ladenkasse im Nachhinein kaum mehr aufklären. Dabei ist nicht auszuschließen, dass möglicherweise erklärbare Differenzen mangels Nachweis empfindliche steuerliche Hinzuschätzungen zur Folge haben.
9.3 Wechsel von elektronischer Kasse zur offenen Ladenkasse ruft den Betriebsprüfer auf den Plan
Die Vorteile einer elektronischen Registrierkasse sind unübersehbar. Die Flucht nach hinten will wohlüberlegt sein. Die Entscheidung trifft allein der Steuerpflichtige – jedoch in der Gewissheit, sich dadurch unwillkürlich dem Verdacht der Einreihung in den Kreis der Steuerunehrlichen auszusetzen. Es ist weniger die offene Ladenkasse, die ihn verdächtig macht – denn sie wird auch von zahlreichen seriösen Unternehmern eingesetzt –, sondern der Wechsel vom komfortablen elektronischen Kassensystem zurück zur Einfachkasse. Nicht nur der Betriebsprüfer wird eine solche Kassenführung argwöhnisch und besonders intensiv unter die Lupe nehmen, auch der Steuerberater meldet vielleicht mangels fehlender Nachprüfbarkeit Zweifel an und wird sich im schlimmsten Fall aus Haftungsgründen distanzieren.
In der Literatur werden zunehmend Stimmen laut, die behaupten, mit einer offenen Ladenkasse ließe sich schon dem Grunde nach keine ordnungsmäßige gesetzeskonforme Kasse führen. Ihre Argumentation ist keinesfalls abwegig und wird rechtlich nachvollziehbar begründet.
Der Gesetzgeber und die Gerichte sehen es noch anders.