Leitsatz
1. Schulgeld, das an eine schweizerische Privatschule gezahlt wird, kann nicht als Sonderausgabe abgezogen werden. Hierin liegt keine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit.
2. Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz vom 21.6.1999 (BGBl II 2001, 811) gewährt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Privatschulen, die in der EU oder im EWR belegen sind.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG i.d.F. vor dem JStG 2009, § 52 Abs. 24a EStG i.d.F. d. JStG 2009 und des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung vom 16.7.2009, Art. 18, 49, 50, 56, 300, 310 EG, Art. 1 Buchst. b, 2, 16 Abs. 1 und 2 FZA
Sachverhalt
Der Sohn der Kläger besuchte 2002 und 2003 eine Privatschule in der Schweiz, die nach einem Beschluss der KMK berechtigt war, Reifeprüfungen im deutschsprachigen Ausland abzuhalten. Das FA lehnte den Sonderausgabenabzug für die Schulgeldzahlungen ab. Die Kläger waren der Auffassung, die Rechtsprechung des EuGH zu den Schulgeldzahlungen an in EU/EWR ansässige Privatschulen sei wegen des FZA auch auf die Schulgeldzahlungen an eine schweizerische Privatschule anwendbar.
Das FG wies die Klage ab (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.11.2010, 5 K 2852/07, Haufe-Index 2636046, EFG 2011, 1057).
Entscheidung
Der BFH gab aus den unter den Praxis-Hinweisen ausgeführten Gründen dem FG recht und wies die Revision zurück.
Hinweis
1. Der EuGH hatte am 11.9.2007 in den Rechtssachen C-76/05 Schwarz/Gootjes Schwarz (Slg. 2007, I-6849) und C-318/05 Kommission/Deutschland (Slg. 2007, I-6957) entschieden, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar war, soweit sie die Abziehbarkeit von Schulgeldzahlungen auf den Besuch bestimmter inländischer Schulen begrenzte. Der Gesetzgeber hat im JStG 2009 sowohl mit einer Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG als auch mit einer Übergangsregelung für EU/EWR-Privatschulen in § 52 Abs. 24a EStG reagiert, sodass nunmehr auch das an diese Schulen gezahlte Schulgeld als Sonderausgabe abziehbar ist, wenn die Schulen zu anerkannten Schul- und Berufsabschlüssen führen.
2. Was gilt aber für Privatschulen, die in der Schweiz belegen sind? Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit EU/EWR-Schulen kann nicht aus der Kapitalverkehrsfreiheit – der einzigen Grundfreiheit, die auch im Verhältnis zu Drittstaaten gilt – abgeleitet werden, da sie im Falle von Schulgeldzahlungen von der Dienstleistungsfreiheit verdrängt wird.
3. Damit kann sich ein Schutz vor Diskriminierung nur aus dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz (FZA) vom 21.6.1999 (BGBl II 2001, 811) ergeben. Dieses ist erstaunlicherweise erst in den letzten Jahren zum Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH und des BFH geworden.
4. In Übereinstimmung mit den jüngsten EuGH-Urteilen – vgl. z.B. vom 12.11.2009, Rs. C-315/08 Grimme (Slg. 2009, I-10777) und vom 11.2.2010, Rs. C-541/08 Fokus Invest (Slg. 2010, I-1025) – sieht der BFH den Anwendungsbereich des FZA im Vergleich zu den Gewährleistungen der EU-Grundfreiheiten als eingeschränkt an. So schützt das FZA nicht die passive Dienstleistungsfreiheit (vgl. auch EuGH-Urteil vom 15.7.2010, Rs. C-70/09Hengartner/ Gasser, IStR 2012, 338).
5. Ebenso wenig gewährt das FZA einen Schutz der allgemeinen Freizügigkeit in der Ausprägung, wie sie von der neueren EuGH-Rechtsprechung entwickelt wurde.
Hierfür nennt der BFH zwei Gründe: Zum einen zeigen die Vorschriften der in Anhang I des FZA geregelten Freizügigkeit, die eine Gleichbehandlung fordern, dass die Gleichbehandlung nur im Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 9 Abs. 2 FZA), von Selbstständigen (Art. 15 Abs. 1 FZA) sowie von Dienstleistungserbringern (Art. 19 FZA) postuliert wird. Zum anderen schließt Art. 16 Abs. 2 FZA die Anwendung der aktuellen EuGH-Rechtsprechung zur allgemeinen Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem Besuch einer Privatschule aus. Nach dem 21.6.1999 ergangene Entscheidungen des EuGH zu inhaltsgleichen Bestimmungen können wegen dieses statischen Verweises nicht zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens herangezogen werden, soweit der Gemischte Ausschuss dies nicht beschlossen hat. Infolgedessen gibt das FZA eine qualitativ-zeitliche Begrenzung zur Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung vor. Damit schließt sich der X. Senat der Rechtsprechung des I. Senats in dessen Beschluss vom 7.9.2011, I B 157/10 (BFH/NV 2012, 95) an.
6. Da der BFH keine Zweifel hatte, dass die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf das an eine in der EU bzw. dem EWR belegene Privatschule gezahlte Schulgeld sowohl mit den Grundfreiheiten des EG (jetzt AEUV) als auch mit dem FZA vereinbar ist, musste er diese Rechtsfrage nicht dem EuGH vorlegen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.5.2012 – X R 3/11