Leitsatz
Beiträge des Kindes zur tarifvertraglich vorgesehenen VBL-Pflichtversicherung sind bei der Grenzbetragsprüfung nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG nicht von dessen Einkünften und/oder Bezügen abzuziehen, wenn das Kind gesetzlich rentenversichert ist.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 S. 2 EStG
Sachverhalt
Für die Tochter des Klägers wurden entsprechend ihrem Ausbildungsvertrag, der die sinngemäße Anwendung des Tarifvertrags der Krankenpflegeschüler vorsah, Beiträge an die VBL abgeführt.
Das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.07.2009, 13 K 1831/09, Haufe-Index 2212723, EFG 2009, 1957) meinte, die VBL-Beiträge seien denen zur gesetzlichen Sozialversicherung vergleichbar und daher bei der Grenzbetragsberechnung abzuziehen.
Entscheidung
Der BFH sah das anders und wies die Klage ab, da die Einkünfte der Tochter ohne den Abzug der VBL-Beiträge den anteiligen Grenzbetrag überschritten.
Hinweis
1. Inwieweit Einkünfte und Bezüge des Kindes bei der Grenzbetragsberechnung unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, beschäftigt den BFH seit dem BVerfG-Beschluss vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV Beilage 2005, 260, betr. gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge) immer wieder (z.B. BFH/NV 2008, 434, BFH/PR 2008, 149 – Lohn- und Kirchensteuer sowie private Zusatzkrankenversicherung; BFH/NV 2008, 1821, BFH/PR 2009, 376 – private Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung; BFH/NV 2010, 733, BFH/PR 2010, 169 – Unfallrente).
2. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) gewährt Arbeitnehmern des öffentlichen Diensts Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge. Es handelt sich um eine tarifvertraglich vorgeschriebene Pflichtversicherung, deren Beiträge zu ca. 80 % vom Arbeitgeber getragen werden. In Ausbildungsverträgen wird die tarifliche Regelung in Bezug genommen, sodass auch Auszubildende sich dem Arbeitnehmeranteil nicht entziehen können.
3. Da ein Kind tatsächlich nicht in der Lage sein dürfte, eine Änderung des Ausbildungsvertrags durchzusetzen, sind VBL-Beiträge praktisch unvermeidbar. Der BFH hat sie aber trotzdem nicht wie Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, weil der Einbehalt nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht, sondern auf Tarifvereinbarungen, die im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt wurden (Beitragspflicht auch der Arbeitgeber!) und die sich der einzelne Arbeitnehmer oder Auszubildende zurechnen lassen muss.
4. Zudem gehen die Beiträge bei gleichzeitig bestehender Sozialversicherungspflicht über den existenziell notwendigen Versicherungsschutz zur Absicherung gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens hinaus, da die VBL dieselben Risiken wie die gesetzliche Rentenversicherung abdeckt. Auch schulden Eltern ihren in Ausbildung befindlichen Kindern nach § 1610 Abs. 2 BGB keinen Unterhalt für die Alters- und Erwerbsminderungsvorsorge.
5. Die Einbeziehung der VBL-Beiträge in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag vermeidet auch eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbare Ungleichbehandlung mit Kindern, die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind und sich ohne tarifvertragliche Vorschrift zusätzlich privat gegen dieselben Risiken versichern.
6. Das Urteil äußert sich nicht zu den Gestaltungsmöglichkeiten, die eröffnet würden, wenn auch eine vom Kind selbst geschaffene oder ihm nach Sphärengesichtspunkten zuzurechnende Unvermeidbarkeit den Abzug von Aufwendungen rechtfertigen würde: Die Tarifparteien könnten dann hohe Ausbildungsvergütungen durch wirtschaftlich letztlich nicht belastende Abzüge für Auszubildende unter den Grenzbetrag drücken.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.06.2010 – III R 59/09