Leitsatz
Ein Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld setzt voraus, dass das Kindergeld zum Einkommen des Hilfeempfängers gehört, dem der Sozialhilfeträger Sozialhilfeleistungen erbracht hat. Hat der Sozialhilfeträger einem im eigenen Haushalt lebenden Kind Hilfe zum Lebensunterhalt geleistet, hat er i.d.R. keinen Anspruch auf Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld, weil das Kindergeld zum Einkommen des anspruchsberechtigten Elternteils gehört. Dem Einkommen des Kindes kann das Kindergeld nur zugeordnet werden, wenn es ihm aufgrund einer förmlichen Abzweigung ausgezahlt wird oder ihm zumindest tatsächlich zufließt.
Normenkette
§ 74 Abs. 3 (jetzt: Abs. 2) EStG
Sachverhalt
Der Kläger hat eine in einer eigenen Wohnung lebende behinderte Tochter. Mit Bescheid vom Januar 2001 setzte die Familienkasse rückwirkend ab April 1998 Kindergeld zugunsten des Klägers fest und erließ zugleich einen Abrechnungsbescheid, wonach für den Streitzeitraum April 1998 bis Januar 2001 der Kindergeldanspruch aufgrund des Erstattungsanspruchs der Stadt (Sozialamt) als erfüllt gelte. Die Stadt hatte der Tochter für den Streitzeitraum HLU ohne Anrechnung von Kindergeld gezahlt.
Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.07.2004, 6 K 142/02, Haufe-Index 1454519) wies die Klage mit der Begründung ab, der Anspruch des Klägers sei aufgrund der Erstattung an die Stadt erloschen.
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des Abrechnungsbescheids mit der Folge, dass das Kindergeld an den Kläger auszuzahlen ist. Da der Stadt kein Erstattungsanspruch zusteht, gilt der Kindergeldanspruch des Klägers nicht als erfüllt.
Hinweis
Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 SGB X). Die Erstattungspflicht gilt auch dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger für den Angehörigen eines Berechtigten Sozialleistungen erbracht hat und der Berechtigte mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat (§ 104 Abs. 2 SGB X).
Bezieht der Hilfeempfänger Kindergeld, ist dieses bei der Ermittlung der Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) als Einkommen anzurechnen und mindert dementsprechend die HLU. Wird rückwirkend Kindergeld festgesetzt, kann der Sozialleistungsträger, der ungekürzt HLU geleistet hat, das Kindergeld erstattet verlangen.
Ist Hilfeempfänger nicht der Elternteil, der Anspruch auf das Kindergeld hat, sondern das im eigenen Haushalt lebende Kind, ist das Kindergeld aber nur dann als Einkommen des Kindes anzurechnen, wenn es an das Kind abgezweigt wird oder ihm zumindest tatsächlich zufließt.
Fehlt es an einer Abzweigung des Kindergelds an das Kind und fließt es ihm auch nicht tatsächlich zu, kann es nicht als dessen Einkommen behandelt werden. Der Sozialhilfeträger, der dem im eigenen Haushalt lebenden Kind HLU geleistet hat, hat deshalb bei nachträglicher Festsetzung von Kindergeld gegenüber dem anspruchsberechtigten Elternteil keinen Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse. Denn das Kindergeld gehört zum Einkommen des Elternteils.
Da es allein auf den tatsächlichen Zufluss von Geld oder Geldeswert ankommt, kann das Kindergeld auch nicht deshalb als Einkommen des Kindes behandelt werden, weil es möglicherweise einen Anspruch auf Abzweigung gehabt hätte. Es besteht auch keine rechtliche Verpflichtung des Kindes, sich durch einen Abzweigungsantrag anrechenbares Einkommen zu verschaffen.
Schließlich fehlt eine materiell-rechtliche Regelung, dass das dem Anspruchsberechtigten zustehende Kindergeld auf das Einkommen des Kindes anzurechnen ist. Denn bei den Erstattungsregelungen handelt es sich lediglich um rechtstechnische Vorschriften, die den Ausgleich zwischen Leistungsträgern regeln.
Nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG kann die Auszahlung auch an die Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt. Der BFH hat ausdrücklich offen gelassen, ob in Fällen rückwirkender Festsetzung von Kindergeld der Leistungsträger, der dem Kind HLU gewährt hat, nachträglich eine Abzweigung an sich beantragen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.04.2008, III R 33/05