Leitsatz
Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Das FA kann gegen eine abgetretene Forderung der Insolvenzmasse unter den Voraussetzungen des § 406 BGB auch gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklären.
Normenkette
§ 96 Abs. 1 Nr. 1, § 201, § 203 InsO, § 215, § 406 BGB, § 226 AO
Sachverhalt
Zugunsten einer GmbH, über deren Vermögen im März 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, setzte das FA im September 2008 gemäß § 37 Abs. 5 KStG ein Körperschaftsteuerguthaben fest. Das Guthaben sollte in zehn gleichen Jahresraten jeweils zum 30. September bis zum Jahr 2017 ausgezahlt werden.
Zur Fälligkeit für das Kalenderjahr 2008 zahlte das FA den anteiligen Betrag dem Insolvenzverwalter. Das restliche Körperschaftsteuerguthaben trat dieser der Klägerin ab. Das Guthaben für 2009 wurde der Klägerin überwiesen.
Im Februar 2010 wurde das Insolvenzverfahren nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingestellt. Im Jahr 2011 rechnete das FA gegen die anteiligen Guthaben für 2010 und 2011 mit seiner Forderung gegen die GmbH aus Umsatzsteuer 2006 auf und erteilte einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG urteilte, die anteiligen Erstattungsansprüche der Klägerin für 2010 und 2011 seien wegen des insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht erloschen. § 406 BGB werde durch die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsregeln modifiziert. Nach einem Urteil des Reichsgerichts und einer im Schrifttum vertretenen Ansicht gelte dies auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, wenn der Insolvenzverwalter eine Forderung des Insolvenzschuldners durch Abtretung verwertet habe. Anderenfalls sei eine Verwertung von Forderungen faktisch ausgeschlossen und eine nicht hinnehmbare Verfahrensverlängerung die Folge (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2.12.2014, 6 K 6119/12, Haufe-Index 7553411, EFG 2015, 319).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH auf die Revision des FA die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
Gegenstand des Streitfalls war ein Körperschaftsteuerguthaben einer seit 2006 im Insolvenzverfahren befindlichen GmbH, das vom Zeitpunkt seiner Festsetzung im Jahr 2008 in zehn gleichen jährlichen Raten bis zum Jahr 2017 zu zahlen war bzw. ist. Der Insolvenzverwalter verwertete die künftig fällig werdenden Forderungen gegen das FA, indem er diese der Klägerin abtrat.
Nachdem das Insolvenzverfahren der GmbH im Jahr 2010 eingestellt worden war, rechnete das FA gemäß § 406 BGB gegen die seitens der Klägerin geltend gemachten abgetretenen Jahresansprüche mit Umsatzsteuerforderungen gegen die GmbH aus 2006 auf und erteilte einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.
Die Klägerin berief sich auf das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da der Erstattungsanspruch der GmbH nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei. Dagegen machte das FA geltend, insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote gälten nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Der BFH hielt Letzteres in Anbetracht des § 201 Abs. 1 InsO für zutreffend.
Allerdings wird von Teilen des Schrifttums unter Berufung auf ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1933 die Ansicht vertreten, in Fällen der vorliegenden Art bleibe das Verbot der Aufrechnung gegen die abgetretene Forderung auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erhalten, da ansonsten der Insolvenzverwalter gehindert werde, die erst künftig fällig werdende Forderung der Insolvenzmasse zu verwerten. Dieser Ansicht ist der BFH nicht gefolgt.
Werden zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen erst spät fällig, hat der Insolvenzverwalter, wenn er nicht warten, sondern das Verfahren beenden will, die Möglichkeit, die Nachtragsverteilung der Forderungen zu beantragen, mit der Folge, dass diese unter Insolvenzbeschlag verbleiben und somit auch insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote erhalten bleiben.
In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Forderungen über mehrere Jahre hinweg in Teilbeträgen fällig werden, ist das Überwachen der Nachtragsverteilung zweifellos lästig und unpraktisch. Allein dieser Umstand kann es nach Ansicht des BFH jedoch nicht rechtfertigen, gesetzliche Vorschriften wie § 201 Abs. 1 und § 215 Abs. 2 InsO sowie die Schuldnerschutzvorschrift des § 406 BGB nicht anzuwenden.
Will der Insolvenzverwalter das gesetzlich vorgesehene Verfahren der Nachtragsverteilung vermeiden, kann er selbstverständlich eine künftig fällig werdende Forderung verwerten, indem er sie gegen Entgelt abtritt. Dann muss der Zessionar aber (wie der Zessionar jeder anderen Forderung auch) damit rechnen, dass der Schuldner der Forderung unter den Voraussetzungen des § 406 BGB mit eigenen Forderungen gegen den Zedenten aufrechnet. Diese Vorschrift soll verhindern, dass sich die rechtliche Stellung des Schuldners durch die Abtretung verschlechtert. Eben diese nicht gewollte Folge träte aber ein, wenn ein auf die D...