Dr. Björn-Axel Dißars, Dr. Ulf-Christian Dißars
Leitsatz
Die erstmalige Ausübung des Wahlrechts zur getrennten Veranlagung nach der Insolvenzeröffnung ist nicht rechtsmissbräuchlich.
Sachverhalt
Die Kläger sind Eheleute, die bis 2005 stets zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In 2006 erzielten beide Eheleute negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb und positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im März 2006 wurde über das Vermögen des Ehemannes das Insolvenzverfahren eröffnet, welches im Oktober 2006 wieder eingestellt wurde. In 2012 erlangte der Kläger die Restschuldbefreiung. In 2008 reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung 2006 ein, wobei sie eine getrennte Veranlagung beantragten. Dem folgte das Finanzamt zunächst und erteilte getrennte Bescheide. Dies führte bei der Klägerin zu einer Erstattung und beim Kläger zu einer Einkommensteuernachzahlung. In 2009 hob das Finanzamt die beiden Bescheide auf und führte eine gemeinsame Veranlagung durch. Der Bescheid für den Kläger war unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen worden, hinsichtlich des Bescheides für die Kläger verwies das Finanzamt als Änderungsnorm auf § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Begründet wurde dies damit, dass die vorherige Wahl der getrennten Veranlagung rechtsmissbräuchlich gewesen sei. Die Steuernachforderung gegen den Kläger sei nämlich aufgrund der Insolvenz nicht durchsetzbar. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Im Klageverfahren machten die Kläger unter anderem geltend, dass keine Rechtsmissbräuchlichkeit gegeben sei.
Entscheidung
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg, da das Finanzgericht hier in der Wahl der getrennten Veranlagung keine Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne von § 42 AO erkennen konnte. Für die Änderung der Festsetzung gegen die Klägerin sei bereits keine Änderungsnorm erfüllt. Insbesondere sei kein rückwirkendes Ereignis gegeben. Zwar könne unter Umständen ein Eingreifen von § 42 AO als ein solches rückwirkendes Ereignis in Betracht kommen, doch seien hier die Voraussetzungen des § 42 AO nicht erfüllt. Die erstmalige Ausübung des Wahlrechts zur getrennten Veranlagung sei nicht rechtsmissbräuchlich. Wenn Steuerpflichtige von einem Wahl- oder Gestaltungsrecht Gebrauch machen, sei dies grundsätzlich nicht zu beanstanden. Nur für den Fall, dass Wahlrechte mehrfach in einander wiedersprechender Weise ausgeübt werden, komme ein Missbrauch in Betracht. Dies sei hier nicht der Fall.
Hinweis
Die Entscheidung des FG Münster ist zweifellos zu begrüßen und zutreffend. Wenn einem Steuerpflichtigen vom Gesetz her ein Wahlrecht eingeräumt wird, kann die Ausübung dieses Wahlrechts nur im Ausnahmefall rechtsmissbräuchlich sein. Insofern war das Vorbringen des beklagten Finanzamts hier als der letzte Strohhalm zu sehen, um ein Ergebnis zu erzielen, welches von Seiten der Finanzverwaltung - trotz der entgegenstehenden Rechtslage - als unbillig angesehen wurde. Andererseits zeigt das Urteil (wieder einmal), wie schwierig es ist, die Bestimmung des § 42 AO in der Praxis zu handhaben. Angesichts der nicht zweifelsfreien und offenen Formulierung der Bestimmung wird es indes stets zu Problemen in der Rechtsanwendung kommen (siehe Schwarz, AO, § 42 AO Tz. 69ff. zur Fassung des § 42 ab 1.1.2008). Im hier entschiedenen Sachverhalt bedurfte es meines Erachtens schon einiger Kreativität seitens des Finanzamts, um einen Anwendungsfall des § 42 AO zu sehen. Das FG Münster hat dem zu Recht einen Riegel vorgeschoben, wie es überhaupt wünschenswert ist, einer überbordenden Anwendung des § 42 AO entgegen zu treten.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 04.10.2012, 6 K 3016/10 E