Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Das nach den Vorschriften des EStG als Steuervergütung gezahlte deutsche Kindergeld fällt in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern; es ist eine Familienleistung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung.
2. Eine Beamtin des griechischen Staates, die im Auftrag ihrer Behörde für einen bestimmten Zeitraum ausschließlich als Lehrerin in einer Schule in Deutschland tätig ist und vom griechischen Staat besoldet wird, unterliegt nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 weiterhin den griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit mit der Rechtsfolge, dass ein Anspruch auf Kindergeld nach den Vorschriften des EStG ausgeschlossen ist.
3. Art. 14f der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 erfordert, dass der Beamte seine Tätigkeit gleichzeitig in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten ausübt.
Normenkette
Art. 2 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 , Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 , Art. 13, Art. 14f Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 , Erläuterung zu Nr. 9 Verordnung (EG) Nr. 1606/98
Sachverhalt
Eine Beamtin des griechischen Staats war im Auftrag ihrer Behörde für einen bestimmten Zeitraum ausschließlich als Lehrerin in einer Schule in Deutschland tätig und wurde weiterhin vom griechischen Staat besoldet. Damit unterlag sie weiterhin den griechischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit.
Nachdem die Familienkasse der Klägerin zunächst teilweise Kindergeld gewährt hatte, lehnte sie später die beantragte Festsetzung von Kindergeld ab. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab.
Entscheidung
Der BFH kam aus den in den Leitsätzen dargestellten Gründen zu keiner anderen Beurteilung.
Hinweis
Der BFH hat die Entscheidung zusammen mit zwei weiteren (Seiten 100 und 101 in diesem Heft) nur jeweils im Leitsatz veröffentlicht, obwohl es sich um die ersten Urteile zum Kindergeld nach europäischem Gemeinschaftsrecht handelt. Der BFH hielt es für ausreichend, die Öffentlichkeit auf diese Urteile hinzuweisen und die Begründungen lediglich in BFH/NV zu veröffentlichen. Sie lassen sich in einer Kurzfassung ohne erhebliche gemeinschaftsrechtliche Vorkenntnisse auch nicht darstellen.
Nur so viel: Wer als in Deutschland tätiger EU-Bürger Kindergeld beansprucht, muss nicht nur die Rechtsvorschriften des Einkommensteuerrechts beachten, sondern auch berücksichtigen, dass das deutsche Kindergeldrecht in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, fällt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABIEG – Nr. L 149/2). Das Kindergeld ist eine Familienleistung im Sinn dieser Verordnung.
Für die Beurteilung der Frage, ob in Deutschland ein Kindergeldanspruch besteht oder ausgeschlossen ist, können Sie sich als Richtlinie merken,
- für den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71:
Erfasst wird jede Person, die als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats gegen ein Risiko oder mehrere Risiken, die von den Zweigen eines – alle Erwerbstätigen umfassenden, nicht nur auf Teile des Mitgliedstaats beschränkten – Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbstständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig versichert ist,
- für den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung 1408/71:
Familienleistungen sind alle Sach- und Geldleistungen, die nach Maßgabe der Verordnung zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt sind. Die Mitgliedstaaten geben die Rechtsvorschriften und Systeme an, die unter die Verordnung fallen (wie z.B. das Kindergeld in Deutschland). Ziel der (Kollisions-)Regelungen der Verordnung ist es, dass diese Leistungen in einem Mitgliedstaat nur einmal in Anspruch genommen werden. (Das gilt auch für ergänzende zwischenstaatliche Vereinbarungen nach § 17 der Verordnung, BFH, Urteil vom 13.8.2002, VIII R 70/99, BFH/NV 2003, 29).
Wer also "Familienleistungen" in einem anderen Mitgliedstaat erhält, ist mit seinem an sich in Deutschland bestehenden Kindergeldanspruch nach europäischem Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.8.2002, VIII R 97/01