Leitsatz
1. Die gesetzliche Ausgestaltung der Tatbestände in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG, wonach ein Kind, das nach Beendigung der Schulzeit – unabhängig davon, ob absehbar oder nicht – länger als vier Monate auf den Beginn des gesetzlichen Wehrdiensts wartet, während dieser Übergangszeit nicht berücksichtigt wird, ist weder lückenhaft noch verstößt sie gegen das GG.
2. Das FG kann den Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle machen, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat. Im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid ist der Familienkasse längstens eine Regelung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung möglich.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a bis c EStG, § 40 Abs. 2, § 67 FGO, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 GG
Sachverhalt
Der Sohn (S) des Klägers legte im Juni 2005 das Abitur ab. Im Oktober 2005 stellte der Kläger für S bei der Familienkasse einen "Antrag auf Kindergeld für ein über 18 Jahre altes Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz". S war bei der Agentur für Arbeit seit dem 7.10.2005 als arbeitsuchend gemeldet. Außerdem ist im Antrag angegeben, dass S bis voraussichtlich 31.12.2005 eine Tätigkeit mit Brutto-Einnahmen in Höhe von monatlich 325 EUR ausübt und ein Einberufungsbescheid zum 1.1.2006 vorliegt. Nach einer persönlichen Vorsprache des S vermerkte die Agentur für Arbeit: "Die Zeit bis zum Beginn der Bundeswehr will der Kunde nutzen und sich selbst um eine Anstellung/Ausbildung bemühen; an einer Vermittlung in Arbeit unsererseits ist er nicht interessiert und steht daher der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung."
Die Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag ab und wies den Einspruch am 12.1.2006 als unbegründet zurück.
Das FG Köln wies die Klage ab (Urteil vom 17.11.2006, 8 K 674/06, Haufe-Index 1812132). Für die Monate Juli bis Dezember 2005 sei S nicht als Kind zu berücksichtigen, weil seine Teilzeittätigkeit in der Gemeinschaftspraxis nicht als Berufsausbildung qualifiziert werden könne und die unverschuldete Überschreitung der viermonatigen Übergangszeit kindergeldschädlich sei. Für die Zeit ab Januar 2006 bestehe ebenfalls kein Kindergeldanspruch.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück; für den Zeitraum ab Februar 2006 war die Klage bereits unzulässig.
Hinweis
1. Die Entscheidung befasst sich wie das vorstehend besprochene Urteil III R 5/07 mit der Beschränkung der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder einem Ausbildungsabschnitt und dem Wehr- oder Zivildienst oder weiteren Diensten.
2. Streitig war weiterhin, ob der Sohn des Klägers sich in einer Berufsausbildung befunden hatte, indem er in der Gemeinschaftspraxis seiner Mutter eine Teilzeittätigkeit ausübte. Berufsspezifische Praktika, Trainee- und Volontärtätigkeiten können als Ausbildung angesehen werden, wenn das Praktikum oder das Volontariat der Erlangung einer angestrebten beruflichen Qualifikation dient. Der Ausbildungscharakter muss im Vordergrund stehen. Es darf sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handeln.
3. Der zeitliche Regelungsumfang von Aufhebungs- oder Ablehnungsbescheiden der Familienkasse endet grundsätzlich mit dem Monat, in dem der Bescheid ergeht. Er verlängert sich bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, wenn der Einspruch keine Einschränkung des zeitlichen Regelungsbereichs enthält und durch die Familienkasse als unbegründet zurückgewiesen wird (BFH vom 4.8.2011, III R 71/10, BFH/NV 2012, 298, BFH/PR 2012, 91). Dieser zeitliche Regelungsumfang wird durch die Klageerhebung nicht verlängert, denn das gerichtliche Verfahren ist keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens.
Beantragt der Kläger gleichwohl Kindergeld für die Zeit nach Ergehen der Einspruchsentscheidung, so ist die Klage mangels Klagebefugnis unzulässig. Es fehlt mangels Regelung des Kindergeldanspruchs aneiner möglichen Rechtsverletzung (§ 40 Abs. 2 FGO).
Falls die BFH-Urteile vom 2.6.2005, III R 66/04 (BFH/NV 2005, 2118) sowie vom 30.6.2005, III R 80/03 (BFH/NV 2006, 262), dahin verstanden werden könnten, dass bei Klagen gegen Kindergeld-Ablehnungs-bescheide die Anspruchsberechtigung bis zu dem Monat der finanzgerichtlichen Entscheidung zu prüfen sei, wird daran nicht festgehalten.
4. Wenn sich das gerichtliche Verfahren lange hinzieht, könnte für die Monate ab Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Festsetzungsverjährung eintreten. Der BFH weist aber darauf hin, dass ausnahmsweise von einem noch nicht beschiedenen Antrag auf Kindergeld auszugehen sei, wenn der Kindergeldberechtigte im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck bringt, Kindergeld auch für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum erhalten zu wollen, sodass eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO eingreift.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.12.2011, II...